Kinotopia Now #4: Retro-Disney macht Moos
Genialer Kaufinstinkt & realer Wahnsinn
Eines muss man der alten Geldmaschine Disney ja lassen, sie weiß nicht nur, wie man tolle Zeichentrickfilme produziert, sondern auch aus dem Glanz der Vergangenheit einen retro-rhetorischen Imperativ des Erfolgs zu kreieren. Dabei ist die Formel, die Disney im letzten Jahrzehnt so erfolgreich gemeistert hat, eigentlich eine ganz einfach, ja gar altbekannte im Unternehmergeschäft: Man kauft eine heruntergewirtschaftete Marke auf, baut auf den einstigen Ruhm dessen auf und investiert eine Menge Kies, um aus der Marke eine Institution im Filmgeschäft zu schaffen, an der keiner mehr vorbeikommt.
Die Konkurrenz ausschalten!
Zugegeben: Als Disney 2006 Pixar (gegründet 1979/ unter dem Namen seit 1986) aufkaufte, war die führende Animationsfilmschmiede alles andere als an ihrem Zenit. Aber mit dem genialen Aufkauf des größten Konkurrenten im Zeichentrickgeschäft, die so tolle Filme wie TOY STORY (1995) und FINDET NEMO (2003) und eine Menge erstklassiger Kurzfilme hervorbrachte, begann eine nicht enden wollende Welle von unglaublich guten Marken-einkäufen der Walt Disney Company. Denn während höchstens noch Dreamworks und in Ansätzen auch 20th Century Fox (gemeinsam mit dem Blue Sky-Studios) diesen Kinderfilmmarkt mit bestimmten, gab es nun ganz weit vorne nur noch eine Produktionsstätte, die eimerweise Kassenklingler produzierte. Ein Fundament, das dazu verleitete, nun auch in anderen Bereichen in der Kinobranche eine führende Kraft zu werden.
Der große Einkauf beginnt…
In Deutschland haben wir von diesem Kauf zunächst kaum etwas mitbekommen. Und 2009 war es auch noch gar nicht absehbar, was es bedeutet, wenn Marvel Comics (gegründet 1939) ein Teil von Disney werden würde. Nun, gerade einmal sieben Jahre später, kommen wir an diesem geschickten Rechteeinkauf gar nicht mehr vorbei. Mindestens drei Filme pro Jahr des Marvel Cinematic Universe (zuletzt THE FIRST AVENGER: CIVIL WAR) lassen uns spüren, dass es wirklich Superhelden gibt – und sie sind überall. Das ist der Verdienst von Disney.
Doch Disney hat damit noch mehr hervorgebracht: ein Phänomen, an das ebenso wenig jemand noch vor einigen Jahren geglaubt hätte, aber Disney hat mit dem Kauf von Marvel den Nerd salonfähig gemacht – und dem Hipster seinen Weg geebnet.
Mit den Comichelden erreichte man eine neue Zielgruppe und sorgte für eine Renaissance der „klassischen“ Superhelden. Nun galt es, seine Stammzielgruppe nicht zu verlieren, denn auch, wenn der jährliche Kinoerfolg sich einstellte, merkte der Cineast, dass der Zeichentrickfilm eine wirklich schwache Phase durchmachte: DIE KÜHE SIND LOS (2004), HIMMEL UND HUHN (2005), BOLT (2008) und, wer weiß, warum das so ein Erfolg wurde Pixars CARS (2006) und zuletzt auch PLANES (2013) waren nun wirklich keine Vorzeige Projekte. Einzig RATAOUILLE (2007) und OBEN (2009) ragte aus dem dem Wust des Unbedeutenden heraus. Ja, sogar KÜSS DEN FROSCH (2009), als erster echter Zeichentrickfilm der alten Schule wurde beinahe gänzlich vom Publikum verschmäht.
Was macht man, wenn das eigene Neue nicht funktioniert? Man kauft erneut das gute Alte von anderen auf. Und so gesellten sich zu den berühmten Zeichentrickstars von Disney bald das bekannteste Puppenensemble der Welt: Jim Hensons „Muppets“ wurden Teil des Maus-Konzerns. Sogleich begann die Produktion eines Kinofilms auf dem zwei Jahre später mit MUPPETS: MOST WANTED (2014) ein weiterer folgte. Nun waren auch Kermit, Gonzo und die anderen verrückten Charaktere der Henson-Schmiede wieder ein Teil der aktuellen Popkultur – Disney did it again!
Die Allmacht der Maus
Der jüngste Großeinkauf zementierte schließlich die Allmacht von Disney: Nach harten Verhandlungen übergab auch George Lucas seine STAR WARS-Rechte an die Maus. Damit fiel nicht nur die größte Science Fiction Saga der Filmgeschichte und eines der mächtigsten Film-Franchise in die weißen Handschuhhände des quiekenden Nagers, sondern auch eine ganze Reihe an Computerspiel-Klassiker von Lucas Arts. Mit dabei, man will es kaum glauben, „Maniac Mansion“ (1987) und die „Monkey Island“-Spiele. Damit war meine Hoffnung von einer eigenständigen Monkey Island-Filmreihe zunächst passe. Schließlich schafft sich der Schöpfer von FLUCH DER KARIBIK nicht eine eigene Konkurrenz – vielmehr wird diese erneut ausgeschaltet.
Aber zurück zum mit Abstand größten Coup der Filmbranche: STAR WARS gehört seit 2012 zur Walt Disney Company. Kaum vorstellbar, aber wahr. Und dabei brauchte man für dieses Franchise gar nicht groß die Werbetrommel rühren. Denn auch mehr als 30 Jahre nach dem Beginn der Saga blieb das STAR WARS-Universum eine Geldmaschine, die nur gemolken werden musste. Immerhin befand ich die Reihe während des Kaufs mitten in der sehr erfolgreichen STAR WARS: THE CLONE WARS-Serie. Diese musste einfach nur weitergeführt werden. Disney reichte dies natürlich nicht und plante gleich etwas größeres im Stil des MCU, des Marvel Cinematic Universe: Eine neue Trilogie (STAR WARS VII: DAS ERWACHEN DER MACHT; 2015) soll entstehen und die Zeit nach dem Ende des Imperators erzählen. Obendrein sollten Spin-Offs mit Han Solo und Boba Fett, ja vielleicht sogar mit Yoda, umgesetzt werden. Und natürlich folgte auf die CLONE WARS-Serie eine Neue – STAR WARS REBELS.
Und hier reden wir nur von drei Zweigen, die nun im Disney-Imperium verankert sind. Der Maus-Konzern hat seine Führung in der Filmbranche in nur zehn Jahren um ein Vielfaches ausgebaut. Denn neben diesen Zweigen laufen auch andere Filmreihen (z.B.: FLUCH DER KARIBIK) und viele weitere Filmprojekte und -experimente weiter. Nahezu monatlich erscheint ein neuer Spielfilm aus dem Hause Disney. Die Maus regiert die Welt!
Während dessen sitzen die Hauptkonkurrenten Bugs Bunny und Batman nebeneinander auf der Couch und fragen sich, was sie falsch gemacht haben. Zurecht, denn warum erhält ein Karotten nagender Hase heute keine Chance mehr? Und warum wird ein dunkler Ritter in einem großen unausgewogenen Actionspektakel unnötig verheizt? Diese Konkurrenz muss nicht ausgeschaltet oder aufgekauft werden. Diese Konkurrenz hat sich selbst ausgeschaltet!
von Jörg Gottschling