INFAM (1961)
Hepburn und MacLaine wird eine lesbische Beziehung angedichtet
Regisseur William Wyler (BEN HUR; 1959) versteht sich auf Dramatik und gesellschaftliche Themen. Mit INFAM drehte er ein beeindruckendes Drama über das Gerücht einer lesbischen Liebesbeziehung und die gesellschaftlichen Folgen dieser Behauptung: Ächtung, Verstoßung, Bedrohung. Er zeigt, was Worte anrichten können und dass, wenn einmal ein Gerücht öffentlich wird, es niemals wieder ganz verschwindet.
INFAM hat Wyler in schwarz-weiß gedreht – zu der Zeit, 1961, nicht gerade üblich, aber wirksam. Der Film überzeugt durch die Schauspieler und seine enorme innere Spannung – sorgt durch einen kleinen Aspekt dann aber doch ein wenig für Verärgerung.
INHALT
Karen Wright (Audrey Hepburn) und Martha Dobie (Shirley MacLaine) betreiben gemeinsam ein Internat für Mädchen reicher, vornehmer Familien. Ihre Schule hat mittlerweile einen guten Ruf erworben. Karen ist mit den Arzt Joe Cardin (James Garner) verlobt, will ihn aber erst heiraten, wenn die Schule finanziell sicher dasteht.
Die junge Internatsschülerin Mary (Karen Balkin) ist ein Problemkind, das ständig betrügt und belügt. Als sie sich wegen dauernder Bestrafungen an ihren beiden Lehrerinnen rächen möchte, erzählt sie ihrer Großmutter (Fay Bainter), dass Karen und Martha ein lesbisches Liebespaar sind und sie nachts irritierende Aktionen der beiden gesehen habe. Ihre Behauptung unterfüttert sie mit ein paar Halbwahrheiten. Die Großmutter ist entsetzt und setzt die anderen Eltern in Kenntnis. Alle Schülerinnen werden von dem Internat genommen, Karen und Martha sind ruiniert, werden gesellschaftlich geächtet, und sogar Joe Cardin verliert seinen Job, weil er den Kontakt zu den Frauen nicht abbricht.
Karen und Martha beteuern, dass das Gerücht nur eine Lüge von der ungezogenen Mary ist. Doch es scheint so gut zu passen: Karen hält ihren Verlobten seit zwei Jahren mit der Hochzeit hin. Martha ist mit 28 Jahren immer noch ledig und war nie mit einem Mann zusammen, wie deren Tante lauthals erzählt. Man glaubt ihnen schlichtweg nicht, sondern dem Kind. Doch die beiden Frauen wollen sich nicht unterkriegen lassen und verklagen Marys Großmutter wegen Verleumdung…
FAZIT
INFAM erzählt von dem Gerücht einer lesbischen Beziehung, ohne diese aber allzu offen zu benennen und auszusprechen. Die Wörter „lesbisch“ oder „homosexuell“ fallen keinmal, es wird höchstens von „Liebespaar“ gesprochen oder davon, es sei „unnatürlich, wenn eine Frau so empfindet“. Das ist einer der interessanten und spannenden Aspekte an dem Drama: Wie es das zum Thema macht, was es nicht aussprechen darf.
Wyler inszeniert sein Drama hervorragend – anfangs nicht ohne Witz, dann bewusst steigernd dramatischer. Der Fokus ist stets klar, Spannung wird an den richtigen Stellen aufgebaut – wird manchmal sogar bis zum Unaushaltbaren gesteigert: etwa, wenn Karen und Martha die junge Mary befragen und verzweifelt nach Lücken in ihrer Behauptung suchen. Immer wenn die Gerüchte gestreut werden, fährt Wyler dieselbe Musik auf, wobei man eher von einer Soundcollage sprechen müsste. Sie sorgt nicht nur für Spannung, sondern verdeutlicht auch die unkontrollierbaren, chaotischen Folgen des Gerüchts.
INFAM ist stellenweise spannend wie ein Krimi oder Thriller: wie das Kind sich immer weiter in die Lügen verstrickt, wie es immer wieder einen neuen Ausweg findet, um den Schwindel nicht auffliegen zu lassen, wie die Gesellschaft immer intoleranter und bedrohlicher wird. Und letztlich brennt natürlich auch die Frage unter den Nägeln, ob an dieser Lüge nicht doch etwas Wahres dran ist.
Getragen wird der gelungen aufgebaute Plot von den grandiosen Schauspielern, deren Darstellung kaum zu hoch gelobt werden kann. Audrey Hepburn und Shirley MacLaine, und auch besonders Fay Bainter, liefern eine phänomenale Schauspielleistung ab, die durch ihre Perfektion einfach nur Gänsehaut erzeugt. Doch nicht nur die Stars beeindrucken, auch die Kinderschauspieler zeigen ein unglaubliches Können.
Ärgerlich ist allein der Schluss. Hier wurde versucht, eine ultimative Dramatik zu erzeugen, die der Film überhaupt nicht gebraucht hätte. Es wird eine Schippe zu viel aufgetischt – mehr als nur eine Schippe, sehr viele Schippen. Es ist unverzeihlich, geradezu infam, dass der so großartige Film den Zuschauer dadurch doch mit einem bitteren Beigeschmack und unzufrieden entlässt.
Nichtsdestotrotz eine unbedingte Sehempfehlung! Und wem die erste (recht unspektakuläre) halbe Stunde zu langweilig ist, sollte den Film dann nicht ausmachen: Er wird danach mehr als entlohnt! INFAM erscheint am 20. Februar 2020 auf DVD und Blu-ray. Als Extras gibt’s auf der DVD mehrere Trailer und einen Audiokommentar.
Bewertung:
Quelle: Pressematerial StudioCanal