NOCTURNAL ANIMALS (2016)
Die Abgründe des Menschen aufgesplittet auf zwei Ebenen
In Tom Fords NOCTURNAL ANIMALS verschmelzen sich die ernüchternde Realität einer Frau in der Sinnkrise mit der Geschichte eines Romans, indem ein Mann vor den Trümmern seiner Familie liegt. Offenbart werden tiefe menschliche Abgründe, genauso wir tragische Entscheidung, die das ganze Leben verändern werden. Nun ist der Film für Heimkino erhältlich und wir haben mal einen genauen Blick darauf geworfen.
INHALT:
Susan Murrow (Amy Adams) ist Künstlerin, Kuratorin und ziemlich gestresst. Ihre letzte Ausstellung verlief zwar gut, aber nicht so, wie sie es sich erhofft hatte. Ihr Mann Hutton (Armie Hammer) ist Geschäftsmann und kurz vor einem großen Abschluss, dazu muss er jedoch nochmal nach New York und lässt seine Frau am gemeinsamen Wochenenden zurück.
Sie erhält ein Manuskript über einen neuen Roman: „Nocturnal Animals“. Es ist ein Buch von ihrem Ex-Mann Edward (Jake Gyllenhaal), den sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat. Susan nutzt die freie Zeit, liest die ersten Zeilen des Romans und wird sofort von der unbeschreiblichen Härte der Geschichte, der sich die Figuren des Romans ausgesetzt sehen, in den Bann gezogen:
Tony Hastings (ebenfalls Jake Gyllenhaal) reist mit seiner Tochter (Ellie Bamber) und Frau (Isla Fisher) in seinem Auto über die Landschaft. Es ist eine dunkle Nacht und eigentlich wollten sie schon lange eine Pause machen. Auf der Straße begegnen sie plötzlich drei Männer – ebenfall in einem Auto unterwegs und offensichtlich auf Stress aus.
Diese bedrängen die kleine Familie mit ihrem Auto und es kommt zu einem Auffahrunfall. Der war jedoch nur ein Vorwand. Denn im Verlaufe dessen werden die Frauen entführt und der Mann bleibt alleine zurück. Am nächsten Morgen begibt er sich zusammen mit dem Ermittler Bobby Andes (Michael Shannon) auf die Suche. Dabei machen sie eine grausame Entdeckung.
Gibt es eine Verbindung zwischen beiden Geschichte?
FAZIT:
NOCTURNAL ANIMALS von Regisseur und Drehbuchautor Tom Ford erzählt zwei Geschichten parallel nebeneinander. Auf der einen Seite steht eine Frau, die mit sich und ihrer Ehe unzufrieden ist und auf der anderen Seite steht ein Mann, der über Jahre hinweg versucht die Mörder seiner Familie zur Rechenschaft zu ziehen.
Dabei versteht es der Regisseur seinen Szenen immer wieder eine zur Geschichte eigentlich unpassende Ästhetik zu verleihen. Vor allem der Beginn des Films ist verstörend: Wir sehen tanzende, üppige und nackte Frau. Sie sind teil einer Performance, eine Ausstellung, wie wir bald erfahren. Ford, der ursprünglich aus der Modewelt kommt, weiß, wie man Menschen positionieren und inszenieren muss, dass beweist er nicht nur plakativ mit seinem Prolog, sondern auch im Rest des Films. So spielt er mit Kameraperspektiven, zeigt vor allem Gesichter und signalisiert, dass ihm die Charaktere am Wichtigsten sind.
In NOCTURNAL ANIMALS findet sich ein Gegensatz der Figuren Tony/ Edward und Susan, der sich durch den ganzen Film zieht. Michael Shannon (FREEHELD; 2015/ MIDNIGHT SPECIAL; 2016) hat darauf mit seiner Figur einen großen Einfluss: Er spielt mal wieder den rechtschaffenen Badass. Als Ermittler mit Lungenkrebs hat er nichts mehr zu verlieren und setzt daher alles daran, um Tony zu unterstützen. Doch so weit, wie Shannons Figur Bobby Andes geht, hatte es Tony eigentlich nie vor. Jedenfalls wäre er alleine niemals dazu in der Lage gewesen. Doch Andes Einfluss verändert ihn, macht ihn stärker.
Amy Adams‘ (BIG EYES; 2014/ ARRIVIAL; 2016) Susan wird hingegen mit jeder Minute des Films mental schwächer. Adams spielt hier eine ohnehin erschöpfte, beinahe lethargische Person, die in Trance ihrer Arbeit nach geht. Susan, die mal Künstlerin war und nun Kuratorin ist, hat die Leidenschaft für Kunst schon lange verloren. Und dabei ist dies doch ein Beruf, der ohne Leidenschaft und Emotionen eigentlichen keinen Sinn macht. Adams füllt dieser leere Person aus, die von Selbstzweifeln zerfressen wird und ihre Vergangenheit noch keineswegs überwunden hat. Ihre Figur Susan hat sich einst für eine Vernunftehe entschieden, doch in Wahrheit sieht sie nun ein, dass die Trennung von ihrem ersten Mann Edward falsch war.
Selbstzweifel hatte wohl auch Edward, als er seinen Roman schrieb. Edward ist in vielerlei Hinsicht Tony. Jake Gyllenhaal (NIGHTCRAWLER; 2014/ LIFE; 2017) spielt also nicht zwei Personen, sondern nur eine Person, dessen zwei Seiten sich durch die Erzählebenen des Films offenbaren. Denn um so tiefer wir in die Geschichten von NOCTURNAL ANIMALS eindringen, umso mehr lassen sich Parallelen zwischen dem Roman und dem Leben von Susan herstellen: Während Susan die Geschichte ließt, kommen ihre Erinnerungen an die Beziehung mit ihrem ersten Mann wieder in ihr Gedächtnis. Die Lücke, Edwards Sicht auf die Vergangenheit wiederum wird durch die geschickte Narration mit der Romangeschichte zwar meist nur angedeutet, aber durch eine metaphorische Meisterleistung geschlossen.
Regisseur Ford hat damit ein tiefsinnige, emotionale Geschichte geschaffen, die sich in einer instinktiven Härte entlädt und die dunklen Abgründe des Menschen an den Tag bringt. Bewiesen wird hier, dass zwischen Liebe und Hass, Loyalität und Egoismus oft nur ein paar Millimeter unterschied liegen. Es reicht das umschalten eines Hebels und selbst der Rechtschaffene wird zu einem Tier, zu jemanden, der seine Liebsten in Stich lässt. Umgekehrt und auf die Erzählebene von Susan übertragen, wird jede Entscheidung, die man im Leben trifft, unumgänglich sein und auch in der Zukunft noch Konsequenzen haben.
Auch diese Konsequenzen zeigen sich in der Verknüpfung beider Geschichten. Duscht Tony, duscht in der nächsten Szene auch Susan. Wird bei Tony etwas umgeworfen, fällt auch bei Susan etwas hin. Beide Erzählebene verschmelzen damit zu einer Realität. Und diese steuert auf ein Wiedersehen von Susan und Edward zu. Es ist der finale und nötiger Abschluss für die Charaktere, um mit ihrer Vergangenheit abschließen zu können. Doch auch dieser kommt anders als erwartet und doch passend zum restlichen Film.
NOCTURNAL ANIMALS verbindet ein ernstes Drama mit eine sehr harten Thriller. Der Film glänzt durch einen verschachtelten, metaphorischen, aber auch brachialen Erzählstil. Der manchmal sehr hart, manchmal fast zu sanft eine komplexe Geschichte erzählt, dessen Ebenen sich bedingen und zu einer spannenden, ja großartigen Einheit werden. So ein Autorenkino wünscht man sich aus den USA häufiger.
NOCTURNAL ANIMALS ist seit dem 27.04.2017 auf DVD und Blu-Ray im Handel erhältlich.
von Jörg Gottschling
Bewertung:
Quelle: Pressematerial Universal Pictures 2017
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