Satire darf alles
Affentheater

Zapping Deutschland #4: Satire darf alles!

– oder der Fall Böhmermann –

Glückwunsch, oh du deutsche Medienwelt. Du hast es geschafft. Denn die aktuelle Lage hat den Filmaffen dazu gebracht, sich entgegen seiner Vorsätze als Filmblog mal politisch zu äußern. Anlass sind jedoch keine internationalen Krisen, keine Flüchtlingsströme und es ist auch nicht Donald Trump, obwohl allein seine Haare…naja, lassen wir das!

Nein, die Rede ist von  Jan Böhmermanns sogenanntem „Schmähgedicht“ gegen den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. Und von einem Vorgehen gegen einen Künstler, einen Entertainer und Satiriker, dessen Handeln vielleicht fragwürdig, aber keineswegs schädigend war. Denn fragen wir uns doch, wer hier gerade Polizeischutz braucht und wessen Karriere hier ernsthaft in Gefahr ist?

Doch worum geht’s überhaupt?

Muss man das wirklich noch erklären? Na gut: Vor zwei Wochen, am 31.03.2016, gab Jan Böhmermann im Rahmen seiner Late Night Show NEO MAGAZIN ROYALE, eine Sendung des ZDF, ein kleines Gedicht zum Besten. In diesem führte er eine Vielzahl an Beleidigungen gegen den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tyyip Erdogan auf, die teils sehr derbe und unsachlich waren.

Gleichzeitig betonte Böhmermann mehrfach, dass diese Beleidigungen in dieser Form so nicht im öffentlichen Kontext gesagt werden dürfen – dennoch sagte er es eben genau so. Ein Form der Satire, die an die Grenzen des guten Geschmacks kam und eventuell auch an die Grenzen des Legalen. Genau darüber wird derzeit in den Medien, der europäischen Politik, aber auch der breiten Öffentlichkeit debattiert.

Ging das Gedicht zu weit?

Natürlich überschritt Jan Böhmermann hier eine Grenze. Aber es war ein Sprung ins Fettnäpfchen mit Ansage. Und das ist schon der erste Punkt, in dem sich dieser Mann von den meisten seiner Kollegen unterscheidet. Denn sein Gedicht war ein Sprung ins Fettnäpfchen auf der Metaebene – und dass in gleich zweifacher Hinsicht: erstens betonte er vor, während und nach seinem Gedicht immer wieder, dass man diese Dinge, die er in seinem Gedicht äußert, eben NICHT so im Fernsehen sagen darf. Und gleichzeitig lotete er zweitens die Grenzen des Fernsehens auf, indem er genau voraussagte, dass das ZDF seine Folge des NEO MAGAZINS ROYALE mit diesem Gedicht bald nicht mehr in den Mediatheken zur Verfügung stellen wird – und er sollte Recht behalten.

Sein Gedicht war also einerseits eine grenzwertige, satirische Breitseite gegen einen internationalen Politiker und andererseits eine Kritik an der deutschen Fernsehlandschaft sowie der Zensur der Presse- und Meinungsfreiheit. Aber es war auch ein bewusster Hieb gegen die deutschen Politik an sich, die sich hinter einem überholten Paragraphen (Paragraph 103: Beleidigungen von Staatsoberhäuptern) versteckt und nur allzu gerne vorschreiben lässt, was die deutschen Medien über internationale Angelegenheiten und Personen sagen dürfen.

Böhmermann stach hier in ein Wespennest und war sich dessen vollends bewusst. Denn er verbreitete sein Gedicht zu einer Zeit, da bereits eine Debatte um ein „Schmählied“ der Satire-Sendung EXTRA 3 bereits im vollen Gange war. Mehr Ansage für Fettnäpfchen geht eigentlich gar nicht!

Darf Satire alles?

Das Ziel von Satire ist, Fehler humorvoll aufzudecken. Doch Humor muss sich dabei nicht von seiner wohlgesonnenen, leichten Seite zeigen, sondern kann, darf, ja muss sogar auch verletzten. So wie Satire auch immer unweigerlich verletzend ist. Denn mit seinen eigenen Fehlern konfrontiert zu werden, tut immer weh.

Zugegeben: Das, was Herr Böhmermann in seinem Gedicht erzählt hat, sind keine Fehler von Herrn Erdogan, sondern tatsächliche Beleidigungen. Aber sie stehen in einem gewissen (satirischen) Kontext. Denn man darf nicht dieses Gedicht alleine betrachten, sondern immer im Bezug auf Jan Böhmermann sonstiges Schaffen in der Öffentlichkeit betrachten. Außerdem nochmal: Mehrfach betont Jan Böhmermann während seines Gedichtvortrags, dass man eben solche Dinge nicht öffentlich sagen sollte. Er distanziert sich somit von dem Gesagten und prangert indirekt die Nutzer des Mediums an, dass er, wie kaum eine andere Person des öffentlichen Lebens verstanden hat: das Internet. Dort sind nämlich genau solche Äußerungen an der Tagesordnung und keiner, der solche Kommentare in den sozialen Netzwerken postet, wird zur Rechenschaft gezogen.

Er hingegen, als GQ-Meinungsmacher Nummer eins und Person den öffentlichen Lebens ragt aus der breiten Masse heraus und wird genau dafür angeprangert, dass er im Grunde den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag nachkommt, den Online-Hatern gar hilft und aufklärt, was eben nicht erlaubt ist. Natürlich verpackt er diese Lehre, die er seinen Zuschauer mitgibt, in ein provokantes Statement. Er ist schließlich Jan Böhmermann – ein Entertainer und bekennender wie bekannter Satiriker.

Welche Fehler werden in dieser Satire also wirklich offenbart?

Im Grunde geht es gar nicht um einen ausländischen Ministerpräsidenten, sondern um die internationale Zensur von Satire und die Schieflage des Ausnutzens der eigenen Meinungsfreiheit in der Öffentlichkeit: Angefangen von den Mohammed-Karikaturen in Dänemark (2005), über den makrokosmischen Anschlag auf Charlie Hebdo bis hin zur vorhergegangenen mikrokosmischen Kontroverse des Erdogan-Lieds auf Extra 3 spannt Jan Böhmermann in seiner brillanten Intertextualität eine metaphysischen Bogen über das, was in den Medien weltweit schief läuft: Denn es gibt eben KEINE Meinungsfreiheit – nicht mal in den Ländern, in denen diese in den höchsten Gesetzen verankert ist. Und genau das hat er mit diesem Schmähgedicht gegen Erdogan ganz deutlich und auf seine eigenen Kosten hin bewiesen.

Satire darf alles!

Selbstverständlich darf Satire alles! Natürlich nur solange sie Satire bleibt und niemand ernsthaft geschadet wird. Durch dieses Schmähgedicht ist jedoch weder die Zahl derer gewachsen, die ernsthaft glauben, dass Herr Erdogan ein Ziegenficker ist, doch ist die Zahl derer gesunken, die natürlich wissen, dass er es nicht ist – ja, nicht mal sein Ansehen hat durch dieses lächerliche Gedicht dieses dünnen Mannes aus dem Nachtfernsehen einen Knick bekommen. Erst, als sich Herr Erdogan im Nachhinein öffentlich erbost hat und die deutsche Kanzlerin sich dazu genötigt sah, darauf etwas ungeschickt zu äußern, wurde de facto Erdogans Image geschädigt. Also wer ist hier der größere, diffamierte Narr? Der Narr? Oder der Narr, der ihm folgt?

So bleibt am Ende zu sagen: Satire darf alles – aber kaum einer versteht Satire. Böhmermanns Gedicht war zu meta für euch, die ihr euch aufregt. Und seit wann bestimmt Ignoranz und Unverständnis eigentlich unseren Rechtsstaat? Immerhin hat Jan Böhmermann nur bewiesen, dass die Erde eine Kugel ist, die sich auch mal auf die derbe Art kringeln darf. Doch die platte Scheibenwelt der internationalen Öffentlichkeit fehlt die Dreidimensionalität, diesen fiesen kleinen Schachzug des Böhmermanns zu erkennen und ist erbarmungslos in ihre selbst erbaute Falle getappt. Und wer darf das gerade ausbaden: Der kluge Geist, der euch Online-Hater, euch Ignoranten, euch Eindimensionale, euch Politik-Kriecher und Medien-Kuscher entlarvt hat.

Moin! Ich bin der Filmaffe. Den Blog hab ich mir ausgedacht. Als Filmjunkie, Digital Native & Medienprimat ist mein natürlich Habitus der Bildschirm und alles, was sich darin befindet.

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