Grandiose Western-Perle der späten klassischen Ära
4. Mai 2017/
Es ist schon verwunderlich, dass man von STUNDEN DES TERRORS kaum etwas gehört hat. Es gibt (bisher) keinen deutschen Wikipedia-Artikel über ihn, er taucht in Westerngenrebüchern wie beispielsweise dem von Reclam nicht auf, und auch sonst stößt man höchst selten auf ihn, wenn man sich in der Literatur über den amerikanischen Westernfilm umsieht – zu Unrecht! Denn STUNDEN DES TERRORS ist ein hervorragender Film des Genres.
Zugegeben, er ist nicht so episch wie DAS EISERNE PFERD (1924) oder DER TEUFELSHAUPTMANN (1949) und nicht so spektakulär wie etwa HERR DES WILDEN WESTENS (1939), aber er besticht in ganz anderer Art: In einer spannenden Geschichte, die räumlich auf eine Stadt begrenzt ist, verhandelt er moralische Fragen. Ähnlich wie ZWÖLF UHR MITTAGS (1952), in dem es um Treue und Freundschaft geht, oder DER MANN, DER LIBERTY VALENCE ERSCHOSS (1962), der sich mit Ruhm und dem Opfern seiner eigenen Bedürfnisse über das Wohl der Gemeinschaft auseinandersetzt, legt auch STUNDEN DES TERRORS seinen Fokus auf eine solche moralische Frage: Was schuldet man einem Mann, dem man sein Leben verdankt? Und mehr noch: Was darf der Staat seinen Bürgern vorschreiben?
INHALT:
Der Revolverheld Jagade (Dale Robertson) rettet Allan Burnett (Jock Mahony) das Leben. Kurz darauf kommt er in die gottesfürchtige Stadt West End, in der Burnett als Sheriff angestellt ist. Sofort kommt Ärger auf, als Jagade einen Mann in Notwehr erschießt. Die ehrbaren Bürger fordern den Sheriff auf, den rüden Neuankömmling aus der Stadt zu werfen oder festzunehmen. Doch Burnett weigert sich, da er in Jagades Schuld steht.
Jagade bleibt in der Stadt und holt binnen weniger Stunden die unmoralischen Dinge zurück nach West End: Nutten, Glücksspiel und Alkohol, der auch sonntags ausgeschüttet wird. Weil Sheriff Burnett immer noch nichts gegen ihn unternimmt, wiegeln der Priester und der Richter die Bürger zu einem Mob auf, der den Revolverhelden mit Gewalt aus der Stadt verjagen soll. Doch Jagade hat seine Pläne und den Rückhalt des Sheriffs. Außerdem scheint er dessen Verlobte (Mara Corday) von früher zu kennen…
FAZIT:
„Das ist der Jammer in dieser Welt. Jeder versucht, den anderen Vorschriften zu machen“, sagt Jagade in der Mitte des Films. Kurz zuvor wurde er gebeten, den jungen Billy, der sich im Saloon betrinkt und ungebührlich benimmt, zu seiner Mutter nach Hause zu schicken. Natürlich geht Jagade nicht drauf ein – jeder ist für sich selbst verantwortlich. Jagades Zitat beschreibt genau seine anarchistischen Weltsicht, die den zentralen Konflikt des Films ausmacht. Er lässt sich keine Vorschriften machen, und macht auch anderen keine.
Damit sticht er in der Stadt, in der alle Bürger gottesfürchtig sind und auf Moral achten, in ein Wespennest. Und er entlarvt damit die Scheinheiligkeit der „ehrbaren“ Bürger. Diese braven Bürger vertreiben nämlich Huren aus der Stadt und verstoßen ihre eigenen Leute, wenn sie sich einmal scheinbar unsittlich verhalten haben. Jagade aber nimmt die Huren so an, wie sie sind. Und die „ehrbaren“ Bürger sind es, die plötzlich gegen Jagade mit Gewalt auftreten. Trotzdem glauben sie, die Moral auf ihrer Seite zu haben.
Es ist (vor allem erzählerisch) beeindruckend, wie Jagade es schafft, die Stadt in den Sumpf zu führen ohne dabei auch nur ein Gesetz zu brechen – die meiste Zeit sitzt er ruhig am Pokertisch, während sich die Stadt selbst gegenseitig aufwiegelt. Ist er also, der Revolverheld, Mörder und Spieler, der Gute in dieser Geschichte, der den scheinheiligen Bürgern den Spiegel vorhält? Nicht wirklich: Jagade ist grundunsympathisch (hervorragend gespielt von Dale Robertson), hinterhältig und nur auf seinen eigenen Vorteil aus. Dieser Zwiespalt irritiert auf positive Weise. Hier ist der Grundkonflikt des Western zu sehen: Zivilisation vs. Wildnis. Doch keines davon scheint richtig zu sein. Kein schwarz, kein weiß.
Das Ganze schildert STUNDEN DES TERRORS einfach grandios. Im Dialog gelingt mit frechen Onelinern und Seitenhieben fast jeder Satz. Für seine damalige Zeit ist er dabei außerdem ziemlich provokant. Da werden in der Ausdrucksweise nur zu deutlich unsittliche Annahmen gemacht („Ich dachte, du kommst erst, wenn es dunkel ist!“) und einer Frau gezielt auf den Hintern und andere Rundungen geglotzt. Darüber hinaus zitiert STUNDEN DES TERRORS passend aus der Filmgeschichte – ob im Schlussbild ZWÖLF UHR MITTAGS oder mehrfach das legendäre in-den-Staub-Werfen von John Wayne aus STAGECOACH (1939).
Das alles in einer spannenden und packenden Geschichte mit wichtigen moralischen und gesellschaftlichen Fragen zu verbinden, ist einfach eine großartige Leistung. Und die Fragen sind auch heute noch aktueller denn je: Denn auch heute kommt bei vielen politischen Diskussionen die Frage auf, wie stark der Staat die Bürger bevormunden muss/soll und wo die Freiheit des Einzelnen aufhört. Diese Frage stellt STUNDEN DES TERRORS auch – subtil und gleichzeitig klar und deutlich.
Einziges kleines Manko: Die Tatsache, dass der Sheriff in Jagades Schuld steht, hätte es gar nicht gebraucht. Eine Begründung solcher Art, weshalb der Sheriff nicht eingreift, ist eigentlich überflüssig: Jagade bricht nämlich kein Gesetz. Die Gesetzmäßigkeit Jagades Handelns hätte gereicht.
Mit Trailer und Bildergalerie ist die Edition in normalem Umfang ausgestattet. STUNDEN DES TERRORS ist ab dem 11.05.2017 auf DVD und Blu-Ray im Handel erhältlich.
Hey, ich bin angehender Cineast, großer Kinofreund und interessiert an jeder Art von Filmen. Deshalb steht in meinem DVD-Regal Godard neben Besson, die „Alien“-Box neben der Truffaut-Box, „Saw“ neben „Frau ohne Gewissen“ und „Panzerkreuzer Potemkin“ neben „2-Headed-Shark-Attack".