CAPTAIN FANTASTIC – EINMAL WILDNIS UND ZURÜCK (2016)
Über utopische Welten und die Kraft der Familie
Matt Ross‘ CAPTAIN FANTASTIC hat nichts mit Superhelden im übernatürlichen Sinne gemein: Hochintelligenter Hinterwälder mit Familie wird gezwungen, das Einsiedlerdasein hinter sich zu lassen. Was klingt, wie eine ulkig-skurrile Komödie, ist vielmehr ein waschechtes Drama mit sympathischen Charakteren und der Idee von einer besseren Welt.
INHALT:
Es ist ein utopischer Traum, der wahr geworden ist: Ben (Viggo Mortensen) lebt mit seiner Frau Leslie (Trin Miller) und den Kindern Kilyr (Samantha Isler), Vespyr (Annalise Basso), Zaa (Shree Crooks) sowie den Söhnen Rellian (Nicholas Hamilton), Nai (Charlie Shotwell) und Bo (George MacKay) in der Wildnis. Dort haben sie sich ihre eigene Welt aufgebaut, in der sie sich selbst versorgen und statt Weihnachten lieber Noam-Chomsky-Tag feiern.
Letzteres kommt nicht von ungefähr, denn als rebellische Intellektuelle und überzeugte Gegner menschlicher Luxusgüter, unterrichten die linksorientierten Eltern ihre Kindern selbst. Auf dem Stundenplan steht neben einem harten Überlebenstraining und einer breitgefächerten Schulung in so ziemlich allen Wissenschaften auch die Vermittlung der eigenen philosophischen Weltanschauung.
Als die Mutter, die an einer bipolaren Störung leidet, ins Krankenhaus muss und stirbt, steht Ben plötzlich alleine mit der der Verantwortung für seine Kinder da. Gleichzeitig zweifeln einige seiner Sprösslinge diese unkonventionelle Survival-Erziehung der Eltern langsam an. Und dann ist da noch Bens Schwiegervater Jack (Frank Langella), der mit allen Mitteln verhindern möchte, dass Ben zur Beerdigung seiner Tochter kommt. Am liebsten wäre es ihm darüber hinaus, wenn man ihm die Kinder abnimmt.
Das lässt sich Ben nicht gefallen und kehrt in seinem klapprigen Schulbus zurück in die Zivilisation, um zu beweisen, dass er richtig gehandelt hat. Doch was er bei dieser Reise findet, ist die Erkenntnis von etwas völlig anderem…
FAZIT:
Wer das Poster betrachtet, denkt an eine Feel-Good-Komödie mit einem kauzigen Viggo Mortensen in der Hauptrolle. Tatsächlich verbirgt sich hinter CAPTAIN FANTASTIC ein emotionales und nicht selten ruhiges Drama, das durch die Mimik der Darsteller und teilweise absurdes mitmenschliches Verhalten mehr erzählt, als durch die eigentlich Handlung.
Was jedoch nicht heißt, dass die Story zu vernachlässigen wäre. Vielmehr erfüllt sie ihre Zweck als Katalysator von Ereignissen und neuen Erkenntnissen für die Familie: Der Selbstmord der Mutter bringt die gesamte Familie aus dem Gleichgewicht, lässt sogar einige Kinder an ihrer Lebensart zweifeln, ja er ruft sogar zur offenen Rebellion gegen den Vater aus. Selbst Utopia ist also nicht von Problemen gefeilt.
Und dabei sind es gerade die widrigen, mehr als unkonventionellen Lebensumstände, die alle Familienmitglieder prägen: So entschieden sich die Eltern für eine Aufzucht der Sprösslinge in Abwesenheit jeglichen uns bekannten Komforts. Gleichzeitig aber auch gegen jedwede Form schlechten Einflusses.
Es stellt sich in CAPTAIN FANTASTIC die Frage, ob diese ungewöhnliche Erziehungsmethode der Kinder eine Annäherung an ein pädagogisches Ideal oder doch ein großer Fehler ist. Die Antwort liegt in der Mitte, denn Bens Erziehung ist anders, aber vor allem ehrlich und natürlich. So redet er auch bei kritischen Kinderfragen, wie „Was ist Sex?“, immer direkt und wahrheitsgetreu heraus. Außerdem wird in der Familie eine Natürlichkeit gepflegt. Nacktheit gilt hier nicht als etwas obzönes, sondern einfach nur als Freiheit des Körpers. Die hat jedoch trotzdem Grenzen. Denn eine Familienregel besagt: „Kleidung beim Essen“.
Viggo Mortensen ist für seine Darstellung des Vaters bei den Golden Globes 2017 in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“ nominiert. Verdient, denn Mortensen spielt den Vater auf eine autoritäre, aber auch einfühlsame Art. Dieser Zwiespalt beschreibt seine ganze Rolle: Fast militant koppelt sich Ben von der Gesellschaft ab und zwingt mehr oder minder seine ganze Familie in eine Illusion von einem ehrlichen, bodenständigen Leben in der Wildnis hinein.
Der älteste Sohn Bo (George MacKay), ein Teenager und sehr intelligenter Junge hat seinem Vater viel zu verdanken, erhält in CAPTAIN FANTASTIC eine hervorgehobene Rolle. Er ist nach wie vor seinem Vater sehr loyal. Doch merkt er, dass ihm etwas im Leben fehlt. Der Umgang mit Mädchen seines Alters ist ihm fremd, zudem eckt er mit seinem sonderbaren, asketischen Übungen bei weiblichen Geschlecht an. Er hat sich heimlich an der Uni beworben, koppelt sich damit geistig von seinem Vater ab. Das birgt Konflikte und offenbart ein einschneidendes Geheimnis für die Vater-Sohn-Beziehung.
CAPTAIN FANTASTIC ist ein ernster Film mit kleinen Momenten, die zum Schmunzeln anregen. Das Zwerchfell wird jedoch nicht überfordert, ebenso wie wenig die Tränendrüsen beansprucht werden. Und doch vermag es dieses Drama beide Gefühlsspitzen zu aktivieren: Ohne Übertreibungen, dafür mit einer Menge revolutionärem, linken Gedankengut und eine Prise ironischer Gesellschaftskritik spielen sich die Charaktere ins Herz, kratzen jedoch aufgrund der Figurenvielzahl mehr an der Oberfläche ihrer Persönlichkeiten. Fast wünscht man sich eine Serie, die einen tieferen Blick in diese herzensgute, etwas schrullige Familie erlaubt.
CAPTAIN FANTASTIC ist seit dem 27.12.2016 auf DVD und Blu-Ray im Handel erhältlich.
von Jörg Gottschling
Bewertung:
Quelle: Pressematerial Universum Film 2016
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