BIRDS LIKE US (2017)
Vögel lernen das Fliegen
BIRDS LIKE US ist ein Animationsfilm, in dem Vögel auf eine transzendentalen Reise gehen, um ihr eigenes Selbst wieder zu finden. Sie durchbrechen dabei eine verquere Weltordnung und erobern den Himmel als ihren natürlichen Habitus zurück. Das klingt verkopft, ist aber ein unkonventionelles Projekt aus Bosnien, das Pionierarbeit leistet: Denn der Film ist der erste seine Art, der dort entstanden ist.
INHALT:
Die Welt, wie sie einst existierte ist einer schrecklicher, Sturm gepeitschten Wüste gewichen. Nur noch ein mächtiger, uralter Baum, den die gefiederten Bewohner Birdabad nennen, bleibt, um sich vor dem Außen zu schützen. Doch auch der Baum ist kein Paradies. Es herrscht die Tyrannei der Aasfresser. Angeführt von dem Regenten Kondor (Stimme: Jeremy Irons) fordern sie die Eier der anderen Vögel als Tribut ein. Nur wer sich dem fügt, erhält im Gegenzug die Früchte des Baumes.
Doch die schöne Vogelfrau Huppu (Stimme: Alicia Vikander) will sich gemeinsam mit ihrem stummen, aber sehr klugen Eulenmann Hassan diesem Zwang nicht mehr beugen. Ihr Ei soll in Freiheit ausgebrütetn werden. Als dann ein magischer Samen der sofort zu einer großen Pflanze mit Früchten heranwächst, das Gleichgewicht von Birdabad stört, muss das Paar flüchten.
Bei der Verfolgungsjagd durch den ganzen Baum gerät Huppu, Hassan, Kondor und der kleine Wichtigtuer Mi in die unwirklich Welt. Verloren im Nirgendwo müssen die vier nun zusammenarbeiten und den Weg zurück zu ihrer Heimat finden. Dabei hilft ihnen eine gigantische Fledermaus, die ihr zunächst mehr schadet als hilft. Doch nur so lernen die Vögel wieder das, was sie als solche ausmacht…
FAZIT:
BIRDS LIKE US von Regisseur Faruk Sabanovic ist eine surreale Reise durch ein verdrehtes Zerrbild unserer Realtität, auf der Vögel wieder das Fliegen erlernen und aus ihrem selbst erschaffenen Käfig ausbrechen. Der Film ist eine Metapher auf den Käfig, den der Mensch für sich geschaffen hat: Denn auch wir sind gefangen im Alltag und in der Lethargie des Geldverdienes., haben verlernt, was es bedeutet, frei zu sein.
Der Animationsfilm BIRDS LIKE US versucht nicht, die Realität als solche darzustellen, sondern stellt sie in einer überspitzten, surrealen, sehr abstrakten und sehr oft vereinfachten Form dar, die sich auf das Wesentliche beschränkt. Optisch kann er daher auch nicht ganz mit großen Produktionen mithalten, aber diese Form passt zur Geschichte. So könnte man diese Darstellungsform, die zeitweise an einen Drogentrip erinnert, als eine Metapher darauf verstehen, wie die Vögel unsere Menschenwelt warhnehmen.
Die Gruppe reist auf die Dächer einer Großstadt, schwimmt auf einem Gletscher über die Weltmeere, kreuzt Hochgeschwindigkeitshighways, auf denen Straße und Autokorsos sich zu einer unbändigen, gefährlichen Masse vereinen und landet schließlich auf einem dristen Eiland, das sie zu ihrem neuen Paradies ernennen. Der Film führt den Zuschauer auf dieser Reise über mehrere Realtitäts- und Zeitebenen und lässt viel Platz für Interpretation.
Doch nicht nur die Geschichte bietet Interpretationsfläche: Denn alle Figuren habe ambivalente Charakterzüge, sind gar Fabelwesen, die verschiedene menschliche Eigenschaften (positiv wie negativ) vereinen. So lernen wir der große Stumme Hassan und die zarte mutige Huppu als ein liebenswertes Pärchen kennen, deren Liebe die Dunkelheit ihrer Heimat überstrahlt. Sie sind die personifizierte Hoffnung, verkörpern das Yin und Yang einer Partnerschaft, bei der jede Schwäche des einen durch die Stärke des anderen ausgeglichen wird.
Der mächtige, gerissene Kondor hingegen steht zunächst für das Böse, für „die da oben“. Aber er steht auch für eine pragmatische Herangehensweise an ein Leben, das irgendwie organisiert werden muss. Er genießt die Macht, doch seine Herrschaft bringt auch Ordnung in das labile System. Nur seiner fragwürdigen Herrschaft ist es zu verdanken, das die Gesellschaft von Birdabad so lange bestand. Der kleine Mi hingegen ist ein Skeptiker, dem alles Neue suspekt ist, der aber mit dem Status Quo insgeheim nicht klar kommt. Mi steht daher für die breite Masse der Bewohner von Birdabad, die sich alternativlos und desillusioniert in ihr Leben gefügt haben.
Die Fledermaus hat einen ganz besonderen Stellenwert. Sie ist ein Freigeist. Jemand, der den Absprung aus der Gesellschaft schon geschafft hat, sich aber in einer gesellschaftlichen Isolation wiederfindet. Es scheint, als führt sie die anderen an der Nase herum. Ihr mystische Fähigkeit, die anderen hypnotisieren zu können, bestätigt den Verdacht. Doch sie ist mehr: Sie ist der Katalysator für die Vögel, um aufzuwachen und ihrem Gedankenkäfig zu entkommen. Im Laufe der Reise werden vor allem Kondor und Huppu die Augen geöffnet.
Alle sind auf der Suche nach etwas, doch die Fledermaus befindet sich auf der schwersten aller Reisen: Sie sucht nach der Antwort, nach dem einen Sinn, der alles bestimmt. Die Reise der gefiederten, aber flugunfähigen Truppe ist also nicht nur eine Reise quer durch eine lebensfeindlich, chaotische Welt, sondern auch ein transzendentaler Trip.
BIRDS LIKE US ist nur bedingt für Kinder geeignet. Manche Szenen sind sehr abstrakt und andere könnten leicht verstören. Und durch die Fledermaus kommt auch eine gruselige Komponente ins Spiel. Das alles fällt zwar nicht so sehr ins Gewicht, dass sich der Animationsfilm überhaupt nicht für Kinder eignen würde. Entscheidender ist wohl eher, dass der Ernst dem Humor überwiegt. Und die durchweg metaphorische, gesellschaftskritische Ebene ist nicht gerade dienlich, um als kleiner Zuschauer einen Zugang zu diesem Film zu entwickeln. Für ein älteres Publikum funktioniert der Film auf seine unkonventionelle, künstlerische Art jedoch sehr gut – aber natürlich nur, wenn man sich auf diesen abstrakten Stil einlässt.
BIDRS LIKE US hat noch keinen deutschen Kinostarttermin. Wir konnten den Film im Rahmen des 24. Internationalen Trickfilm Festival in Stuttgart sehen, wo der Film seine Weltpremiere feierte.
von Jörg Gottschling
Bewertung:
Quelle: Pressematerial 24. Internationales Trickfilm Festival Stuttgart 2017