Kinotopia Now #1: 3D als stillvolles Allheilmittel für die Mittelmäßigkeit
Ob Action, Drama, Horror oder Animation, wer heute groß rauskommen möchte, der sollte schon den dreidimensionalen Raum sprengen, um sich auf dem hart umkämpften Filmmarkt durchsetzen zu können. Doch wozu brauchen wir das eindringen in eine Dimension, die wir nur allzu oft selbst niemals betreten geschweige denn erleben wollen, eigentlich?
Niemand möchte im Kugelhagel versinken, von brutalen Killer verfolgt und schon gar nicht von nervigen Animationsfiguren belästigt werden. Und doch strömen die Menschen in 3D-Filme. Meist bleibt ihnen auch keine Wahl, denn eine Alternative ist nicht in Sicht. Ein Großteil der heutigen Filme wird einfach in 3D produziert, auch wenn er es gar nicht müsste. Die Folge ist ein übersättigter Filmmarkt, in dem das Event der Dreidimensionalität seinen Status als solcher eingebüßt hat und viele Menschen sich aufgrund noch höherer Ticketpreise an den Kinokassen vom Leinwandspektakel abwenden.
Der Hype in 3D
In einer Zeit, in der den Drehbuchautoren keine neuen Geschichten mehr einfallen durften, die Produzenten auf Remakes setzten und nur allzu gern auf den Hype eines Romanbestsellers mit schwimmten und vorschnell schlechte Buchverfilmungen produzierten, suchte das milliardenschwere Filmbusiness nach einer Alternative, die wieder Geld in den Rachen der Geldgeier hineinwirft. Schnell wurde ein technisches Stilmittel wiederentdeckt, das eigentlich schon seine Zeit hinter sich gelassen hatte: Der 3D-Film konnte durch neue technische Möglichkeiten nun noch besser umgesetzt werden und – was noch viel wichtiger war – der grün-rote Mischmasch vor dem Auge konnte vermieden werden. Viel mehr noch war das Bild sogar so scharf, wie noch nie.
Blockbuster von epischer Tragweite luden geradezu dazu ein, den Zuschauer mit in ihre Welt zu ziehen, das Auenland und die Weiten des Alls zu erkunden und so die großen Kinobilder noch größer, noch gefühlsechter wirken zu lassen. Tatsächlich machte 3D für den Spielfilm das erste Mal richtig Sinn. James Camerons AVATAR (2009) war der erste Film, der mit dieser neuen Technik den Zuschauer in den Bann zog. AVATAR lief Monat um Monat, setzte völlig neue Maßstäbe und war der Beginn vom Ende. Denn mit den glorreichen Aufstieg der 3D-Technik begann die Filmbranche diesen Segen schnell ad absurdum zu führen.
Der Fall in die Tiefen des dreidimensionalen Raums
Die modernen Sehgewohnheiten und die Art der Inszenierung setzte der 3D-Technik schnell Grenzen auf. Ausgerechnet in den großen Blockbustern wurde dies schnell deutlich. Denn sobald eine Actionszene beginnt und ein Einzelbild kaum mehr als wenige Frames lang ist, fällt es dem Zuschauer ohnehin schon schwer, die Einzelbilder als solche wahrzunehmen. Nun wird der Zuschauer auch noch dadurch überfordert, diese Bilder in 3D fassen zu müssen – ein Genuss der modernen Filmtechnik kann so gar nicht mehr aufkommen und so verliert auch 3D seine Wirkung.
Obendrein kann der Film noch so ereignislos und mittelmäßig sein, er muss heute in 3D produziert werden, wenn er sich behaupten möchte. So gilt es heute als selbstverständlich, dass Animationsfilme grundsätzlich die Dreidimensionalität sprengen müssen, ebenso die Horrorfilme, und auch viele Komödien, ja sogar Drama, in denen meist gar nicht das Bild, sondern vor allem die Geschichte und Charaktere überzeugen, verwenden diese teure Technik.
Schlimmer noch gibt es viele Menschen, die rein anatomisch bedingt nicht in der Lage sind, diese 3D-Technik im vollen Ausmaß zu genießen, geschweige denn, dem auch beiwohnen wollen. Sie werden nicht gefragt. Wer den Film sehen will, muss eben auf die Heim-Edition warten oder hat das kleine Glück, dass sein Kino in der Nähe noch eine Alternativ-Version ohne 3D anbietet – doch dies wird auch immer seltener.
Allheilmittel für die Mittelmäßigkeit
Oft können sich kleineren Produktionen die 3D-Technik gar nicht leisten. Zudem sind nur relativ wenige der teuren 3D-Kameras überhaupt im Einsatz. Die Folge ist ein Film, der in altbewährter Art gedreht wird und in der Postproduktion für 3D nachbearbeitet wird – Man kann sagen, was man möchte, aber diesen Filmen sieht man das einfach an. Diese Filme werden dadurch nicht besser, sondern sogar noch schlechter.
Noch viel schlimmer: Mit der Möglichkeit zur Nachbearbeitung hatte nun die mächtigen Produzenten eine weitere Methode für sich gefunden, um nicht nur neue Produktionen aufzuwerten, sondern ihre alten Kassenschlager wieder aus dem Archiv zu kramen und noch ein zweites Mal auf die Kinoleinwände zu schmeißen: Plötzlich lief Blockbuster-Klassiker, wie STAR WARS – EPISODE 1 und JURASSIC PARK wieder im Kino und floppten. Schnell wurde klar, eine Umsetzung, wie die derzeit sehr beliebten HD-Versionen von alten Computer- und Consolenspielen aus den 80er und 90er Jahren, gelang in der Filmwelt nicht wirklich. Ein erster, herber Rückschlag, der schnell abgeschüttelt wurde. Denn der Kurs wurde nicht geändert.
Seit knapp sieben Jahren ist und bleibt 3D das Allheilmittel in der Filmwelt. Der Eventeffekt über diese neuartige Technik ist längst verflogen und die Zeit vor 3D schon fast vergessen. Die Gehirnwäsche am Zuschauer ist gelungen und er spielt mit, zeigt sich entsetzt, wenn die Brille auf der Nase fehlt und wertet jeden Blockbuster ohne 3D noch im Vorspann ab. Der Film mag zwar ein Stück weit realistischer, greifbarer geworden zu sein. Aber gewonnen hat er durch 3D schon lange nicht mehr…
Ein Kommentar
Patrick
Guter Beitrag. Davon mal ab, dass ich einer dieser anatomischer Sonderfälle bin, die Probleme mit dem Stereo-Sehen haben, ich gleichwohl aber erahnen kann, was jetzt 3D sein soll, muss ich sagen, dass ich persönlich nur einen Film im Kino gesehen habe, dem 3D wirklich weiterhilft. In dem 3D nicht nur Effekthascherei, sondern Bereicherung ist. Und das war Gravitiy.