Im Rampenlicht #3: Jaume Collet-Serra
Er ist kein Mann der großen Blockbuster. Er ist eher der Mann für kleinere Thriller – Jaume Collet-Serra. Obwohl viele den ein oder anderen seiner Filme kennen werden, ist sein Name noch nicht in aller Munde. Oft wandelt er auf den Spuren Hitchcocks, erzählt lieber spannende Geschichten als sich um ihre Glaubwürdigkeit zu scheren. Doch er beherrscht sein Handwerk und macht aus Filmen, die langweiliger Trash hätten werden können, interessantes, beachtenswertes Kino. Früher hätte man seine Werke als klassische B-Movies bezeichnet, allerdings im positiven Sinne. Er ist ein Mann, der Spannung aufbauen kann, der sich einen Dreck um Logik schert und dem man das nicht mal übel nimmt. Und er ist jemand, der ein tolles Gespür für Bilder hat. Dabei sah das am Anfang seiner Spielfilmkarriere noch ganz anders aus…
Die Horrorphase: HOUSE OF WAX und ORPHAN CHILD
Collet-Serras Debutfilm lässt nicht das große Talent vermuten, das in dem gebürtigen Spanier schlummert, denn sein erster Spielfilm wurde direkt für die Goldene Himbeere nominiert: 2005 legte er, nachdem er zuvor erfolgreich als Musikvideo- und Werbefilm-Regisseur gearbeitet hatte, seinen ersten abendfüllenden Spielfilm mit HOUSE OF WAX (u.a. mit Paris Hilton) vor. Die Handlung des Slasherfilms ist ziemlich gewöhnlich fürs Genre: Ein paar Teenager kommen auf einer Reise ungewollt in eine mysteriöse Stadt. Dort nimmt sich ein Killer ihrer an, der seine Opfer gerne mit Wachs überzieht. Der wenig gelungene Streifen fiel bei Zuschauern und Kritikern durch. Und wohl auch zu Recht. Er ist weder spannend noch sonderlich intelligent oder anschaulich gemacht und wirkt durch jegliches Fehlen von Ironie recht naiv.
Nach einem kurzen Abstecher mit GOAL! II (2007) ins Sportfilmgenre, kehrte Collet-Serra 2009 mit ORPHAN zum Horrorfilm zurück. Nach dem misslungenen HOUSE OF WAX, der vor allem auf Tötungs- und Folterszenen abzielte, überraschte Collet-Serra in ORPHAN mit einer mitreißenden, realistischen Inszenierung, lebendigen Charakteren und einer intensiven, bedrohlichen Atmosphäre. Der Psycho-Horrorthriller, in dem eine Familie ein Mädchen adoptiert, das –wie sich rausstellt – nicht so süß und nett ist wie es scheint, arbeitet zwar mit den typischen Genreelementen (etwa nervigen Jump-Scares), doch durch viele raffinierte Einfälle hebt Collet-Serra ihn über das Maß eines gewöhnlichen Horrorfilms hinaus. Jede Anspielung wird an späterer Stelle noch einmal aufgegriffen, jedes Bild und jede Wendung ist durchdacht. Es ist auch ORPHANs Authentizität, die überzeugt, was – zugegeben – auch den allesamt absolut herausragenden Schauspielern zu verdanken ist. Er schafft eine Nähe zu den Figuren, dass man auch zufrieden wäre, wenn die Horrorstory ausgespart würde.
Vor allem beeindruckt ORPHAN mit einer faszinierenden Visualität. Collet-Serra zeigt hier schon sein visuelles Gespür, das auch in seinen späteren Filmen immer wieder auffällt.
Die Actionphase: Von UNKNOWN IDENTITY bis THE COMMUTER
2011 begann dann eine äußerst kreative Schaffensphase mit Liam Neeson. Collet-Serra besetzte den Schauspieler, der mithilfe von TAKEN (2008) erst im vorangeschrittenen Alter zum Actionstar wurde, im Folgenden in all seinen Thrillern – vier Filme haben sie bislang zusammen gemacht: UNKNOWN IDENTITY (2011), NON-STOP (2014), RUN ALL NIGHT (2015) und zuletzt THE COMMUTER (2018).
In UNKNOWN IDENTITY geht es um den Wissenschaftler Dr. Martin Harris (Neeson), der mit seiner Frau nach Berlin fährt. Nach einem Unfall dort landet er im Koma. Als er aufwacht, bestreitet seine Frau, dass er ihr Mann ist. An ihrer Seite hat sie einen Dr. Harris, der sich auch ausweisen kann. Ein Verlorene-Identität-Thriller á la BOURNE also, nur dass man sich in UNKNOWN IDENTITY nie sicher sein kann, wie sehr man der Kamera vertrauen darf. Ist Dr. Harris wirklich Dr. Harris? Oder war alles nur eine Illusion?
In NON-STOP erhält Liam Neeson als US-Air Marshall Bill Marks während eines Flugs eine SMS, in der jemand Geld fordert, ansonsten werde ein Passagier nach dem anderen getötet. Die Suche nach dem Täter, der sich im Flugzeug befinden muss, beginnt und ebenso eine Intrige, die den Air Marshall in Bedrängnis bringt: Schon bald gilt der verzweifelte Marks selbst als Hauptverdächtiger.
In RUN ALL NIGHT erschießt der Ex-Killer Jimmy Conlon (Neeson) in Notwehr den Sohn des Gangsters Shawn Maguire (Ed Harris). Dass dieser das nicht hinnehmen kann, ist klar, und deshalb jagen er und seine Männer Conlon die ganze Nacht durch die Stadt. Bis er den Spieß umdreht.
Böse Zungen würden sagen: THE COMMUTER ist wie NON-STOP, nur im Zug. Und ganz unwahr ist das nicht. Eine Frau sagt einem Mann (Neeson), er solle eine Person finden, die nicht in den Zug passt. Diese Person habe einen Koffer. Mehr Infos kriegt er nicht. Und schon bald merkt er, dass die Unbekannten die komplette Kontrolle über das Spiel haben.
All diese Filme weisen viele Gemeinsamkeiten auf, nicht nur den Hauptdarsteller: In allen Filmen geht es um einen Mann, der unfreiwillig in eine gefährliche, ungewohnte Situation kommt, mit der er recht überfordert wirkt. Es sind allesamt Hitchcocksche Geschichten, in denen die reizvolle Ausgangssituation zählt, nicht die Glaubhaftigkeit oder Logik des Geschehens. Also ganz im Sinne Hitchcock, der auf die Kritik an seinen unlogischen Handlungen stets geantwortet haben soll: Aber sonst wäre der Film vorbei.
Collet-Serras Actionfilme spielen alle außerdem in einem beschränkten Raum (Berlin, ein Flugzeug, New York, ein Zug) und während einer kurzen Zeitspanne. Sie sind alle geradlinige, rasant inszenierte Actionstories, die man nicht weiter hinterfragen sollte, um die mitreißende Spannung zu genießen. Und sie alle überraschen mit plötzlichen Plotwendungen und übertreiben zum Schluss ein wenig oder auch mal etwas mehr.
Kleiner Abstecher zum Tierhorror: THE SHALLOWS
Mit dem Haihorrorfilm THE SHALLOWS (2016) liefert Collet-Serra diesem Genre endlich nochmal einen würdigen, ernstzunehmenden Beitrag, jenseits von dem Horrortrash á la SHARKNADO (2013) oder TWO-HEADED-SHARK-ATTACK (2012). Die Surferin Nancy reist an einen einsamen Strand, um dort auf den Wellen zu reiten. Schon ihre verstorbene Mutter war gerne an diesem netten, abgelegenen Örtchen surfen. Doch nach einer Weile im Wasser wird die sportliche Nancy von einem Hai attackiert und am Bein verletzt. Sie rettet sich auf einen Felsen, doch der Hai umkreist geduldig ebendiesen Felsen. Bald kommt die Flut, dann wird dieser rettende Fleck überspült sein…
Vor allem im ersten Drittel kommt der Werbefilmer und Musikvideo-Regisseur in ihm durch. Das ganze erste Drittel schwelgt er in wunderbar beeindruckenden Bildern, die den Strand, das Meer, das Surfen und natürlich Blake Livelys durchtrainierten Körper feiern. Es passiert nicht viel im ersten Drittel, nur wenn die Kamera ins Wasser taucht, kommt etwas Spannung auf, da man den Hai erwartet. Trotzdem kommt keine Langeweile auf, weil Collet-Serras Bilderflut einen unweigerlich mitreißt.
Danach lässt Collet-Serra aber die Spannung los. Er geht überaus klug vor, da er das Monster selten direkt, sondern immer nur als Schatten oder Schemen zeigt. Trotzdem rückt er das Tier gerade oft genug ins Bild (mit erstaunlich gutem CGI), um explizit den erbitterten Kampf der Protagonistin präsentieren zu können. Nur zum Schluss übertreibt der spanische Regisseur es Collet-Serra-typisch in einem etwas überzogenen Finale. Sieht man von dem anschließenden, unnötig kitschigen Epilog mal ab, ist THE SHALLOWS dank seiner Bilderpracht ein im wahrsten Sinne des Wortes sehens-werter Film.
Jaume Collet-Serra – der Mann der kleinen dreckigen Thriller. Man darf auf seine nächsten Filme gespannt sein!
Bildquelle: Pressematerial zu THE COMMUTER (StudioCanal)