Manifest gegen die Handkamera
Affentheater

Manifest gegen die Handkamera

Wir wollen erkennen, was zu sehen ist

Einst, im Jahre 1928, sahen sich die sowjetischen Regisseure Eisenstein, Pudowkin und Alexandrow gezwungen, ein Manifest zum Tonfilm zu schreiben, damit die neue technische Erfindung des Filmtons auch in angemessener Weise benutzt wird. Genauso muss auch hier in diesem Manifest dringend auf ein technisches Mittel des Films aufmerksam gemacht werden, das immer häufiger in nicht angemessener Weise genutzt wird: die Handkamera.

Dieses Manifest spricht sich offen gegen die Überbenutzung der Handkamera im Film aus. Und damit ist nicht die Steadycam oder die entfesselte Kamera in ihrer ersten Form gemeint, denn diese Art des Filmens liefert ein klares Bild der Bewegung, bei dem man jeden einzelnen Teil des Bildes scharf erkennen kann. Wir richten uns hier gegen die unmotiviert verwendete wackelige Handkamera, die beim Zuschauer nichts anderes als Schwindelgefühle auslöst!!

Früher einmal war die wackelige Handkamera ein innovatives Werkzeug, vor allem im Horror- und Actionfilm. Mit Filmen wie BLAIR WITCH PROJECT (1999) hat sie ein neues Genre begründet: Found Footage. Und im Actionfilm hat sie bei den Actionszenen das Adrenalin versprüht, die Hektik vermittelt, den Zuschauer mit in die Szene geholt, ihn ins Geschehen regelrecht hineingesaugt. Das klappte auch wunderbar und machte Sinn, etwa bei der Anfangssequenz von DER SOLADAT JAMES RYAN (1998), die einen unausweichlich direkt in das Geschehen wirft und nicht herauslässt. Oder in CRANK (2006), der genau diesen Adrenalinstoß zum Thema des Films macht.

Gegenwärtig übt der mit der wackeligen Handkamera arbeitende Film aber nicht mehr diesen mächtigen emotionalen Effekt auf die Zuschauer aus. Found Footage-Horror wurde in einer solchen Masse produziert (PARANORMAL ACITIVITY 1-5, REC 1-4, CLOVERFIELD , V/H/S, KATAKOMBEN, UNKNOWN USER , um nur wenige zu nennen), dass der Stil in keinster Weise mehr neu und innovativ ist, sondern altbekannt, langweilig und abgenutzt. Ebenso bei Actionszenen: Ganz unmotiviert wird heutzutage bei Bewegung und Kampf im Film gewackelt was das Zeug hält, so dass der Zuschauer nichts mehr vom Geschehen vor der Kamera sehen kann.

Warum? Den Adrenalineffekt, den Realitätseffekt, den Überraschungseffekt, den Spannungseffekt – all das hat eine solche Szene heute nicht mehr. Man ärgert sich nur, dass man nicht bei klarem Bild die Action auf der Leinwand genießen kann.

Ob die TAKEN-Reihe, die JASON BOURNE-Filme, oder zuletzt BASTILLE DAY (2016) oder COLLIdE (2016) – sie alle denken, sie müssten das Bild bis in die Unkenntlichkeit verwackeln, um bei der Action Spannung und Stimmung zu erzeugen. Dabei kann man doch auch ohne die wackelige Handkamera gute Verfolgungsjagden und Schlägereien kreieren, siehe Steven Soderberghs HAYWIRE (2011) oder einfach die guten alten Jackie Chan-Filme. Der Erfolg der Actionfilme in den Kinos der Welt ist – bis zu einem bedeutenden Grad – auf die actionreiche Bewegung in einem erkennbaren Bild zurückzuführen.

Wackelige Handkameraszenen sind nicht mehr innovativ! Sie wirken nicht mehr! Sie verstärken nur das Gefühl, dass die Filmemacher ihre Unfähigkeit, eine gute Actionszene zu machen, kaschieren wollen. Und dass sie die Bewegung in der Räumlichkeit des Films vereinfachen wollen: denn wie die Personen zueinander stehen, wie genau sie sich bewegen, wie physische Bewegungen im Raum allgemein vonstattengehen und wie überhaupt der Raum aussieht – all das verschleiert die wackelige Handkamera.

Die wackelige Handkamera weiterhin so massenhaft in diesem Sinne zu verwenden, würde die Zerstörung des Action- und vielleicht auch des Horrorkinos bedeuten, denn niemand will mehr einen auf solche Art verunstalteten Film sehen. Dies wird sich zweifellos als nachteilig für mehrere Genres erweisen, wenn nicht für den gesamten Film.

Nur eine zurückgenommene, gezielte Verwendung der wackeligen Handkamera wird das Action- und Horrorkino, und damit die Freude an der Bewegung im Film retten können.

von Benjamin Wirtz

Hey, ich bin angehender Cineast, großer Kinofreund und interessiert an jeder Art von Filmen. Deshalb steht in meinem DVD-Regal Godard neben Besson, die „Alien“-Box neben der Truffaut-Box, „Saw“ neben „Frau ohne Gewissen“ und „Panzerkreuzer Potemkin“ neben „2-Headed-Shark-Attack".

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