Die Vierhändige - Filmkritik | Drama um zwei Schwestern
Kinokritik,  Kritiken

DIE VIERHÄNDIGE (2017)

Schizophrener Racheengel & unsterbliche Schwesterliebe

DIE VIERHÄNDIGE ist ein deutscher Thriller über zwei Schwester, die durch ihr Blut vereint, aber durch das, was sie durchgemacht haben, entzweit wurden. Sie könnten gegensätzlicher nicht sein. Doch nach einem unglücklichen Umstand werden die Gegensätze zu zwei Seiten der selben Medaille. Einst ist klar: Die eine kann ohne die andere nicht mehr Leben. Sie brauchen sich – auch über den Tod hinaus.

INHALT:Die Vierhändige - Poster | Drama

Sophie und Jessica (Frida-Lovisa Hamann und Friederike Becht) wurden aus ihrer sorgenfreien Kindheit gerissen, als ein brutales Pärchen eines abends in das Haus der Familie eindringt die Eltern tötet. Jessica, die sich schützend vor ihre kleine Schwester stellte und sie von diesem Albtraum abschirmt, lässt das Verbrechen auch zwanzig Jahre später nicht mehr los.

Während Sophie sich eine Karriere als erfolgreiche Pianistin aufbaut und ein normales Leben ohne Ängste aufbauen möchte, ist Jessica davon besessen, ihre Schwester zu beschützen. Als die Täter aus dem Gefängnis freikommen, bricht bei ihr eine Paranoia aus, die nicht mehr aufzuhalten ist. Jessica will die Verbrecher aus der Stadt vertreiben – oder notfalls sogar noch schlimmeres anstellen, damit die Schwestern nicht in Gefahr sind.

Sophia, die sich gerade auf ein Vorspielen für ein Orchester vorbereitet, versucht ihr dieses Aktion auszureden. Schließlich geht von diesen keine Gefahr aus. Es kommt zu einem Gerangel zwischen den Schwestern und beide werden im Verlauf ihrer Auseinandersetzung von einem vorbeifahrenden Auto erfasst.

Jessica stirbt bei dem Unfall und Sophie erleidet schwere, vor allem geistige Verletzungen. Sie hat jede Nacht Filmrisse, erhält erschreckende Botschaften. In ihr ruhen plötzlich zwei Seelen. Und eine davon beschützt noch immer manisch Sophies Leben. Schlimmer noch: Sie will die Mörder ihrer Eltern tot sehen…

FAZIT:

DIE VIERHÄNDIGE von Regisseur Oliver Kienle ist ein Thriller und ein Drama. Der Film verwebt den Wunsch nach Rache mit der Verarbeitung eines Traumas. Wie reagiert der Mensch auf Schicksalsschläge? Die eine Schwester wird Paranoid. Die andere, beschützt und behütet von den Schrecken, entwickelt sich scheinbar normal. Doch in ihr schläft etwas und wartet auf den Ausbruch. Aus normal wird schizophren. Das labile Kartenhaus aus Verdrängung und Ablenkung bricht ein.

Denn von jetzt auf gleich verliert eine junge Frau ihre größte Beschützerin. Die Sorgen, die man sich selbst nicht machen musste, die bisher von anderen abgenommen wurden, treffen einen wie ein Dampfhammer – ja gar wortwörtlich wie ein Auto in der Tiefgarage. Jessica, die große Schwester ist tot. Doch ist sie immer noch da. In DIE VIERHÄNDIGE werden wir in eine Geschichte hineingesogen, in der Schein und Wirklichkeit unter einer weiblichen Hülle verborgen liegen. Aus dem Tod einer Schwester entwickelt sich eine zweite Persönlichkeit, eine Art Antikörper, der Sophie schützt – vor Feinden wie vor Freunden.

Die Kamera fängt eine Persönlichkeitsstörung ein, indem sie beide Schwestern zeigt – je nachdem, welche gerade den Körper lenkt. Ein diffuses und verwirrendes Spiel der Unklarheit wird aufgebaut. Der Zuschauer bleibt im Dunkeln, kann das gezeigt zunächst nur schwer zuordnen. Doch er wird gepackt. Denn genau dieser innere Zwiespalt, der durch eine clevere Darstellung der Persönlichkeiten, durch das tolle gegensätzliche Schauspiel der beiden Hauptdarstellerin dargestellt wird, trifft einen Nerv, macht die Story, die im Grunde auf einer klassischen Rache aufgebaut ist, erst richtig interessant.

Christoph Letkowski stellt einen Ruhepol, eine Konstante dar. Sein Charakter, ein angehender Arzt, lernt Sophie unmittelbar nach dem Unfall kennen. Beide freunden sich an, haben ein nächtliches, unkonventionelles Date. Es bahnt sich zwischen beiden etwas an. Doch die Filmrisse, der Verlust über die Kontrolle des eigenen Körpers von Sophie sind Gift für eine mögliche Beziehung. Das andere Ich schirmt Sophie ab – von allem. Und es kennt nur ein Ziel: Die Täter von einst zu finden und zu verjagen. Wenn nötig sogar zu töten. Sophie gerät unfreiwillig in eine Fehde zwischen Jessica und den Tätern. Jeden morgen wacht Sophie auf, ist voller Matsch, blutverschmiert und offensichtlich völlig übermüdet. Kein Wunder, denn der Körper hat keine Ruhe gefunden. Ihr einziger Hinweis: Eine Tonband-Nachricht. Ihr neuer Bekannter aus dem Krankenhaus kann ihr nicht helfen. Denn sie will keine.

DIE VIERHÄNDIGE lässt seiner Hauptfigur keine Zeit zum Atem. Ebenso breitet sich ein besorgnisergenis Gefühl der unruhe beim Zuschauer aus. Die Story führt zu einer unausweichlichen Konfrontation zwischen Opfer und Täter. Wobei zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr klar ist, wer hier eigentlich welche Rolle einnimmt. Die grautönigen Facetten werden in all ihrer trist-tragischen Farbenpracht ausgespielt: In dieser Konflikt gibt es keinen Gewinner mehr. Es ist das logische, wie überraschende Ende einer blutiges Anfangs in der Kindheit. Dem Film gelingt es dadurch Katharsis und Memisis im Einklang zu bringen. Doch Reinigung und Genugtuung, Versöhnung und Rache führen gemeinsam zu einem totalen Zusammenbruch.

Und genau so wird auch der Zuschauer zurückgelassen. Das Gefühl ist so zwiespältig wie die Person, der Mann ihn ihrem inneren und äußeren Kampf knapp 90 Minuten gefolgt ist. Es ist kein gutes Gefühl, aber ein Unvergessliches.

DIE VIERHÄNDIGE startet am 30.11.2016 in den deutschen Kinos.

von Jörg Gottschling

Bewertung:
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Quelle: Pressematerial Camino Filmverleih 2017

 

Moin! Ich bin der Filmaffe. Den Blog hab ich mir ausgedacht. Als Filmjunkie, Digital Native & Medienprimat ist mein natürlich Habitus der Bildschirm und alles, was sich darin befindet.

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