Big Eyes - Filmkritik
Film,  Kinokritik,  Kritiken

BIG EYES (2015)

Große Augen, große Gesten

Der Meister des skurilen Märchenfilms meldet sich mit BIG EYES zurück: Doch dieser Burton-Film ist kein Märchen, keine Horrorfilm, ja noch nicht mal ein Musical. Der Liebhaber des Skurrilen und Makabren, das er an Tim Burtons Filmen so sehr schätzte, fremdelt und scheut. Schnell neigt man zu sagen: „Das ist kein Burton!“

Und tatsächlich ist BIG EYES anders, weniger verspielt, fast erwachsener und mit einem ernsten Thema, dass diesmal nicht in der Kleinstadtkulisse auf ironische Weise aufgearbeitet oder als Horrormärchen verpackt wurde. So direkt, so realistisch war bisher noch kein Tim Burton Film.

INHALT:Big eyes_poster_small

Wir schreiben die 1960er Jahre im aufstrebenden San Francisco: Margret Ulbrich (Amy Adams) ist Künstlerin aus Leidenschaft. Nach ihrer Scheidung versucht sie ihre Tochter alleine aufzuziehen. Durch ihre Kunst kann sie den Lebensunterhalt nicht finanzieren und so ist sie, trotz ihrer guten Ausbildung und ihres Talents, dazu gezwungen, in einer Fabrik zu arbeiten.

Als sie bei einer Kunstausstellung den Maler Walter Keane (Chritsoph Waltz) kennenlernt, scheint sich ihr Pech zum Guten zuwenden. Der Mann ist sofort von ihr und ihrer Kunst angetan. Nach einigen Verabredungen verlieben sich die beiden ineinander und heiraten. Walter gelingt es schließlich, durch seinen Charme und seiner Elequenz, die außergewöhnlichen Bilder seiner Frau, auf den Kinder mit überdimensional großen Augen zu sehen sind, zu vermarkten und zu verkaufen. Durch ein Missverständnis, dass die junge Familie Keane jedoch nicht aufklärt, glaubt die Öffentlichkeit, dass Walter Keane der Künstler ist.

Die Bilder werden bald nicht nur in Galerien ausgestellt, sondern nehmen Einzug in die Popkultur. Auf Poster, Tassen und Postkarten werden die Motive für den Massenmarkt abgedruckt und die Keanes verdienen Millionen. Doch Magaret zweifelt immer mehr an der Ehe mit dem dominanten Walter, der sich im Glanz eines Ruhmes hüllt, der ihm eigentlich nicht zusteht. Sie ist sich sicher: Magaret kann die Lüge nicht mehr länger leben…

FAZIT:

Tim Burton wagt es doch tatsächlich mit den Erwartungen seiner Fans zu brechen und in weiten Teilen ein klassisches Drama zu erzählen. Ein Unding? Blasphemie? Mitnichten! Vielmehr ist der Film eine Hommage, ein Statement für die Liebe zur Kunst. Ganz klar, Margret Keane ist nicht nur eine bis heute fast vergessene Künstlerin und Pionierin moderner Popkultur, sondern eine stil-gebene Muse für den Künstler Tim Burton selbst gewesen.

Wenig Effekte und dafür noch mehr Dialoge: In BIG EYES wird gesprochen, verhandelt, kalkuliert, manipuliert, gelogen und betrogen. Die sonst düstere Kulisse, wird durch die Düsternis der Realität ersetzt. Der Film braucht deswegen auch keine Special Effects, um gewünschte Bilder zu kreieren, sondern baut mit einer Familiengeschichte, in der eine Lüge gelebt wird, selbst ein Bild nach außen hin auf, das ohne schauderhafte Wesen und seltsam-überzeichnete Charaktere auskommt. Das wäre auch unpassend, denn das Thema ist ernst. Eine Überzeichnung würde die Aussagen und Intention abschwächen. Umso verwunderlicher ist daher die Darstellung von Christoph Waltz, die zwar handwerklich einmal mehr überragend ist, die Figur des Walter Keane jedoch wie einen Fremdkörper im Film wirken lässt – eine Kritik, die irgendwie auch ein Lob ist.

Denn Waltz spielt ambivalent in jeder Beziehung und neigt in manchen Szenen zur doppelten Überzeichnung – ein Gegensatz zum restlichen Film. Denn trotz der vielen kleinen Spitzfindigkeiten und dem pointierten Wortwitz von Christoph Waltz ist dieser Tim Burton Film mit zunehmender Länge ein waschechtes Drama mit sehr tragischen, ungerechten und bitteren Wendungen. Waltz bricht darin aus, passt nicht so recht herein:

Er mimt den genialen Geschäftsmann und Blender, aber auch den zornigen Choleriker mit einem aufbrausenden Charakter, der seine Ehefrau zu Unmündigkeit erzieht. Waltz trägt mit seinem Wirken und Werken den Film, während Amy Adams als eigentlich Hauptdarstellerin sich fügt und eher den zurückgezogenen Ruhepol einnimmt. Er dominiert also den Film, wie er in der Rolle des Walter Keane auch seine Frau dominiert hat. Eine Metapher, die auf den zweiten Blick beeindruckt, im ersten Moment jedoch zunehmend nervt. Denn der Humor des Films, den Waltz Figur gänzlich vereinnahmt, kommt oft unerwartet und manchmal subtil, oft jedoch platt und unangenehm deplatziert.

Ich kann mich kaum entscheiden, ob seine Besetzung einfach genial oder mehr als unglücklich ist – vielleicht wollte Burton aber genau das beim Zuschauer erreichen. So ist man zum ersten Mal seit vielen Filmen immer wieder geneigt, die Sympathiefigur Waltz bei Seite zu nehmen und ihr eine zu scheppern.

Amy Adams spielt die selbstbewusste, aber auch naive Künstlerin Margret Keane, die das Problem hat, in einer Zeit zu leben, in der arbeitende Frauen nicht wertgeschätzt wurden. Obendrein trennt sie sich von ihrem Ehemann und ist alleinerziehend. Eine solche Frau ist nach damaliger Meinung nicht in der Lage für ihr Kind zu sorgen – erst recht nicht, wenn sie ihr Leben der Kunst verschrieben hat. Adams lebt diesen Konflikt und gibt ihm ein Gesicht, dass entgegen sonstiger Burton-Figuren nicht überzeichnet, sondern sehr authentisch wirkt.

Adams holt den Film auf den Boden, wenn gleich ihre Rolle auch nicht immer ganz, salopp ausgesprochen, alle Tassen im Schrank hat. Sie vermag in die Seele der Menschen zu sehen. Dies äußert sich durch Halluzinationen von großen Augen – wenigstens einen Effekt musste Burton dann wohl doch einbauen. Hier steht jedoch ein dickes Fragezeichen über die Sinnhaftigkeit dessen.

Würde BIG EYES nicht eine wahre Geschichte zugrunde liegen, könnte man den Film auch als eine unkonventionelle Interpretation von Szenen einer Ehe verstehen. Denn die Entwicklung von einem glücklichen Liebespaar zu einem eingeengte Heimstätte häuslichen Terrors ist sogar für Burton-Verhältnisse extrem. Schaut man genauer hin, ist BIG EYES jedoch einiges mehr. Denn der Film thematisiert die unterdrückte Stellung der Frau in den 1950er und -60er Jahren, in der dem weiblichen Geschlecht immer noch nicht viel zugetraut wurde und in der die Frau nur mit Erlaubnis des Mannes einer Beschäftigung nachgehen durfte. Gleichzeitig erzählt der Film aber auch über eine Revolution im Kunstverständnis: Die Kunst wurde ein Massenkonsumgut, dass nicht nur als Original in Galerien zum Verkauf angeboten wurde, sondern als Poster reproduziert und auf Tassen, Teller und anderen Gegenständen zum Verkauf angeboten wurde. Der Graben zwischen Kunst und Kommerz verschwamm und damit auch das Ansehen mancher Künstler – das waren die erste Vorzeichen moderner Popkultur.

Tim Burtons BIG EYES funktioniert folglich auf mehreren Ebenen. Doch er verrennt sich darin und wollte zu viel: Kritisches Drama, vergessene Geschichte, traurige Familientragödie und Porträt einer Künstlerin. Dem Film gelang es dabei nicht, alle Punkte hinreichend zu behandeln und schrabbt oft nur an der Oberfläche entlang, während sich die nächste Pointe von Waltz wieder ankündigte und die Stimmung des Films zu brechen drohte – nach Margret Keanes Lebensgeschichte ist dies wohl die größte Tragik im Film. So lohnt sich der Kinobesuch leider nur bedingt.

Seit dem 30.04.2015 ist Tim Burtons BIG EYES in den deutschen Kinos.

Jörg Gottschling

Bewertung:
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Quelle: Pressematerial StudioCanal 2015

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Moin! Ich bin der Filmaffe. Den Blog hab ich mir ausgedacht. Als Filmjunkie, Digital Native & Medienprimat ist mein natürlich Habitus der Bildschirm und alles, was sich darin befindet.

Ein Kommentar

  • franziska-t

    Mir ging es ähnlich. Meine beiden Kritikpunkte sind ebenfalls das „zu viel wollen“ und die Besetzung. Amy Adams und Christoph Waltz wirken einfach nicht wie ein Ehepaar.

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