the hateful eight
Kinokritik,  Kritiken

THE HATEFUL EIGHT (2016)

Eine Symphonie psychologischer Abgründe.

Ein Frau, 10.000 Dollar Kopfgeld, zwei Kopfgeldjäger, eine Hand voll Fremder in einem Hütte mitten im Nirgendwo, ein Schneesturm und eine große Menge nicht vorhandenes Vertrauen – das sind die Grundzutaten für Quentin Tarantinos neustem Epos, das sich mit seinen 70mm Panavison-Breitbild über Wände und über drei Stunden hinstreckt.

INHALT:

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Einige Jahre nach den Sezessionskrieg: Mitten im tiefen Wyoming bahnt sich ein mächtiger Schneesturm an. Irgendwo in den weiten der Natur versucht eine Kutsche sich durch die Schneemassen zu Minnie’s Miederwaren durchzuschlagen. Es ist der letzte Haltepunkt auf dem Weg nach Red Rock und ein rettender Anker für die Insassen des Pferdegespanns.

Kurz vor dem Ziel begegnet die Kutsche einem schwarzen Mann, der die zugeschneite Straße mit drei Leichen blockiert. Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) ist Kopfgeldjäger und ein legendärer Ex-Soldat und die Leichen sind seine neuste Beute. Er bittet um seine Mitnahme. Doch im Wagen sitzt bereits John „Der Henker“ Ruth (Kurt Russell), der ebenfalls eine heiße Ware zu transportieren hat: Auf Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) sind 10.000 Dollar Belohnung ausgesetzt und die sind mehr als verdient, denn dieses Miststück von einem weiblichen Wesen lässt keine Gelegenheit aus, um ihre Begleiter zu provozieren und steckt dabei wohl mehr ein als selbst der kräftigste Kerl einzustecken in der Lage wäre. Ein zweiter Mann ist also gar nicht verkehrt und so tun sich nach anfänglichen Zögern die beiden Kopfgeldjäger zusammen.

Kaum werden die Pferde weiter durch die widrige Wildnis getrieben, trifft das Vierer-Gespann auf einen weiteren Fremden (Walton Goggins), der sich in all seiner durchtriebenen Schmierigkeit als baldiger Sheriff von Red Rock vorstellt. Auch er wird kurzerhand mitgenommen und man erreicht wenig später Minnie Miederwaren. Dort trifft die Gruppe auf den eitlen Cowboy Joe Cage (Michael Madsen), den zur kurz geratenen Briten Oswaldo Mobray (Tim Roth), einen alten, senilen Konföderiertengeneral (Bruce Dern) und Bob (Demián Bichir), ein Mexianer, der Minnies Geschäft während ihrer Abwesenheit verwaltet.

In der Gewissheit, dass acht sich völlig fremde Menschen mit dunklen Vergangenheit und hinterlistigen Absichten über mehrere Tage hinweg gemeinsam in einer Hütte eingesperrt sind und das Ende des Schneesturms abwarten müssen, beginnt man sich häuslich einzurichten und die gegenseitigen Fronten zu klären. Trotz all der Differenzen und dem Misstrauen versucht sich die Truppe zunächst friedlich zu nähern. Doch eine Frage steht im Raum: Wo zum Geier ist Minnie?

FAZIT:

„Schon wieder ein Western?“, ist man geneigt zu fragen. Und doch handelt es sich bei THE HATEFUL EIGHT nicht einfach um einen Ableger von DJANGO UNCHAINED, wenn gleich das Motiv der Rache auch in diesem Film eine tragende Rolle einnimmt. Vielmehr ist Tarantinos neuster Film ein spannendes Kammerspiel, in dem die Abgründe der menschlichen Psyche zum Vorschein kommen. Und trotz des engen, fast klaustrophobischen Settings entschied sich der Regisseur ausgerechnet für ein eigentlich veraltetes aber extra großes Bildformat – ein Geniestreich, der auch gleichzeitig das Motiv der Rache ins Reale übersetzt:

So wurde die erste Fassung des Drehbuchs zu THE HATEFUL EIGHT vor einigen Jahren ohne Tarantinos Zustimmung im Internet veröffentlicht. Der Meisterregisseur war erbost und daraufhin geneigt, dieses Filmprojekt ganz einzustampfen. Aber dann entschied er sich doch für eine Umsetzung. Sein letzter Coup: Ultra Panavision 70. Ein Breitbildformat, das kaum ein Kino mehr benutzt, geschweige denn abspielen kann. In Deutschland zeigten daher nur VIER Kinos den Film in seiner Originalen Breite, die obendrein auch nur in diesen Kinos von einer Ouvertüre und einer längeren Fassung (statt 168 ganz 187 Minuten) des Films begleitet wurde. Auch international traf es das Publikum nicht besser und kaum ein Zuschauer sah seit dem Kinostart dem Film in seiner endgültigen Fassung – die Rache des Quentin Tarantino war perfekt.

Ich war einer der Wenigen, die das Glück hatten und den Film in jener 70mm Fassung anzuschauen. Und ich muss sagen: Wirklich großartig. Ein Kammerspiel in Panoramasicht bekommt man nicht häufig zu Gesicht und gerade dieser Gegensatz zwischen herausragender Bildkomposition und örtlicher Enge schnürte eine Atmosphäre, die in der Form fast einzigartig ist. Jedes Bild passt und ist nicht selten in einen One-Shot verpackt, der wiederum durch seine Dialoge im Kinosessel fesselt.

Doch „dialoglastig“ ist hier das falsche Wort. Entgegen anderer Behauptung hat dieser Film keine Längen. Im Gegenteil: Jeder Satz, jedes Wort sitzt und wird aufgesogen, kann eine Bedeutung haben oder sich in seiner eigenen, banal-vulgären Bedeutungslosigkeit verlieren. Irgendwo dazwischen heimlich vermischt, sind die Hinweise auf die Wahrheit, die jeder hätte ahnen können, sich dann aber doch ganz anders entwickelt.

Das Drehbuch ist so intelligent geschrieben, wie es von den Darstellern umgesetzt wurde. Allen voran Samuel L. Jackson dominiert die Leinwand. Die Rolle des verbitterten Schwarzen, der sich während des Bürgerkrieges auf die Seite des Nordens geschlagen hat, um Neger-Hasser zu töten, nach einem Ausbruch aus einem Konföderiertengefängnis aber auch einige der eigenen Leute mitnahm und so auch vom Norden verstoßen wurde, scheint ihm auf dem Leib geschrieben.

Als einzige Frau im Ensemble steht Jennifer Jason Leigh ihren männlichen Mitdarstellern in nichts nach. Als trotzige Rotzgöre, die sanfte Seiten hat, aber unter einem dreckigen Panzer aus Hass und Bosheit zu verstecken weiß, ist auch ihre Figur so unwirklich unsympathisch, dass man sie schon nach wenigen Minuten ins Zuschauerherz schließt. Die Nominierung für den Oscar als „Beste Nebendarstellerin“ hat sich in jedem verdient – den golden Jungen selbst im Übrigen auch!

Tim Roth, der sich in seiner Rolle offensichtlich an Christoph Waltz anlehnt, gelingt die Persiflage und Kurt Russell beweist, dass er immer noch einer der härtesten Hunde vor der Kamera sein kann.

Allen Figuren liegt ein ironischer, eher noch zynischer Unterton bei, mit dem jede ihrer Taten, jede Aussage eine komisch-böse Note erhält. Diese Menschen in THE HATEFUL EIGHT wissen sehr wohl, dass sie dazu verdammt sind, in der Hölle zu schmoren. Anstand ist also gar nicht mehr angebracht. Diese „Last Man Standing“-Attitüde, bei der jeder sich selbst am Nächsten ist, reizt Tarantino bis ins Unerträgliche aus. So ist es nur logisch, dass am Ende Körper durchlöchert und aufgeschlitzt, ja gar explodiert am Boden liegen und die Blutlachen der Leichen sich auf dem Bretterboden von Minnie’s Miederwaren zu einem einzigen dunklen-roten See vermischen.

Keine Frage: In diesem Western-Kammerspiel steckt nicht eine gute Seele unter den Charakteren. Alle sind verdorben und haben Geheimnisse oder (was noch viel schlimmer ist) offensichtliche Schwächen. Wie es der Titel bereits prophezeit, wollen wir sie alle hassen, doch Tarantino gelingt es einmal mehr, gerade die Drecksäcke, die Arschlöcher unter uns Menschen lieben zu lernen.

THE HATEFUL EIGHT ist ein Genuss. Es macht einfach unglaublich viel Spaß dem Psychospiel der harten Jungs zuzuschauen. Obendrein kommt es immer wieder zu einigen Wendungen in der Handlung, die sogar ganz offensichtlich als solche deklariert werden. So beginnt im dritten Akt, was vorher nicht der Fall war, auf einmal eine Stimme aus dem Off zu sprechen, die uns über eine urplötzliche und durchtriebene Intrige aufklärt. Dieser kleine künstlich erzeugter Handlungsbogen persifliert, ja parodiert fast die hohe Kunst der cineastischen Erzählens, in dem er gleichermaßen diese Kunst selbst für seine Zwecke zu nutzen weiß.

Auch diesmal ist die Musik ein wichtiges Element. Aber anders als bei seinen anderen Filmen setzte Tarantino nicht auf einen Soundtrack aus populären Musikstücken, sondern holte einen Garanten für cineastische Westernmusik mit ins Boot: Ennio Morricone, der schon bei SPIEL MIT DAS LIED VOM TOD oder FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR für einen bahnbrechenden Sound sorgte, komponierte eigens für THE HATEFUL EIGHT die Musik. Ein weiterer genialer Schachzug, der den Film aufwertet. Alleine die Idee, ohne ein Bild zu sehen, vorab den Film mit einer stimmungsvolle Symphonie einzuleiten und das Filmerlebnis zu einem Genuss aller Sinne zu machen, ist in der modernen Kinowelt mutig, aber ebenso großartig.

Tarantino ist nach dem etwas schwächeren DJANGO UNCHAINED wieder ein richtiges Meisterwerk gelungen, das durch seine altruistischen Filmstil zu überzeugen weiß. Seit dem 28.01.2016 läuft THE HATEFUL EIGHT in den deutschen Kinos.

von Jörg Gottschling

Bewertung:
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Quelle: Pressematerial Universum Film 2016

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