German Angst - Filmkritik
DVD & Blu-Ray,  Film,  Kritiken

GERMAN ANGST (2015)

Schockstarr angewidert.

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Kaum ein Film in den letzten Monaten wurde so kontrovers besprochen. Doch GERMAN ANGST – Three German Tales of Love, Sex and Death in Berlin ist mehr als nur ein abartiger Splatter. Er ist eine brachial-realistische Reise durch urbane Urängste wie er eine albtraumhaft-blutige Tortur des Fantastischen ist…

INHALT:
Ein junges Mädchen (Lola Gave) erwacht, kuschelt in ihrem rosaroten Zimmer mit ihrem kleinen weiß-schwarzen Hasen und steht auf. Sie schreitet verschlafen in die Küche, macht sich Müsli, verbringt einen schönen Morgen und erzählt mit ihrer unschuldigen Stimme von anatomischen Details eines Hasenkörpers.

Bald ist sie fit für den Tag und geht in den Keller. Es ist dunkel, muffig und dreckig dort. Auf einer Pritsche liegt ein Mann halbnackt und gefesselt. Noch immer ist sie in Gedanken bei anatomischen Eigenarten von Tieren. Das Mädchen legt sich auf den Mann, zieht seine Hose herunter, greift zu einer großen Schere und legt an. Leise Schmerzensschreie ertönen aus dem geknebelten Mund des Mannes – Szenenwechsel; neue Grausamkeit, neue Geschichte. Willkommen in der Welt von GERMAN ANGST.

FAZIT:
Alles zerreden, überdenken und nochmal mit neuen Argumenten füllen. Bloß keine Entscheidung herbeirufen, denn Entscheidungen bedeuten eine unabänderliche Endlichkeit – der Begriff „German Angst“ meint die typisch deutsche Zögerlichkeit. Von dieser merkt man dem Film jedoch nichts an. Es werden Entscheidungen getroffen. Entscheidungen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können und jenseits der Alltäglichkeit liegen: Folter, Verstümmlung, Vergewaltigung und Mord sind dessen Folgen.

Erzählt werden Episode, kleine Geschichten in Berlin, die scheinbar nichts miteinander gemeinsam haben, als die Angst selbst. Insgesamt drei Kurzfilme werden ineinandergeflochten: FINAL GIRL von Jörg Buttgereit, MAKE A WISH von Michal Kosakowski und schließlich ALRAUNE von Andreas Marschall.

Es scheint, dass die größte Angst der Deutschen, die Angst vor dem „Deutschsein“ ist. Denn GERMAN ANGST zeigt bewusst die negative Seiten, ja vielmehr das Klischee eines Deutschen, auf: Auf der einen Seite stehen Nazis, Neonazis, Fremdenhass, Vergewaltigung und Verstümmlung, auf der anderen Seite ein fast morbider Fetisch, abnormle sexuelle Neigungen und heidnischer Aberglaube, gepaart mit einer geheimen Bruderschaft. Der Anhang zur Vereinigung ist dem Deutschen angeboren. Wer nicht in einer der mehr als 500.000 Vereine in Deutschland aktiv ist, der versammelt sich eben in Hinterhöfen und an verlassenen Orten, um gemeinsam einen Feind zu finden.

In GERMAN ANGST schlägt diese Vereinigung gleich zwei Mal (MAKE A WISH und ALRAUNE) ins Negative um, während im Prolog FINAL GIRL das stereotypische Opfer zum Mörder wird. Eine strukturelle Umkehrung der Katharsis, denn die Befreiung von dem vermeintlichen Täter findet bereits zu Beginn statt, während im Rest des Films das Böse bis zum Schluss dominant bleibt.

GERMAN ANGST spielt dabei nicht nur mit allen erdenklichen gesellschaftlichen Tabus, sondern der Film lebt sie in allen Einzelheiten aus. Durch die fast sachliche, förmlich, fast wissenschaftliche Art des Erzählens in FINAL GIRL erhält GERMAN ANGST dabei zeitweise etwas Komisches. Es ist aber keine Komik, die zu lauten Lachgebärden einlädt – ja, nicht mal zum Schmunzeln. Vielmehr bleibt der Mund trocken und die Kehle schnürt den Hals zu.

Zur latenten Komik gesellt sich ein allgegenwärtiger Retro-Filter mit wiederkehrenden Found-Footage-Elementen. GERMAN ANGST ist optischer Trash in dreckigen, kahlen Räumen und mit weitestgehend Laiendarstellern, die zur Überzeichnung der Rollen neigen. Schnellt möchte man daher, den Film daher als Satire abhandeln. Damit würde man dem Ernst des Gezeigten jedoch nicht gerecht werden:

In MAKE A WISH wird ein taub-stummes Pärchen aus Polen von einer Gruppen unberechenbarer Skins drangsaliert und gefoltert. Die Episode spannt dabei einen Bogen in die dunkle deutsche Vergangenheit, in der Nazis die Bewohner eines polnischen Dorfes angegriffen haben. Entgegen dem Titel werden hier keine Wünsche erfüllt – jedenfalls keine von den Opfern. An dieser Stelle findet keine Aufarbeitung des Vergangenen statt, sondern eine der Urängste des Deutschen wird offenbart: Der „Deutsche“ hat sich auch nach über 70 Jahren nicht verändert – ein platteres Statement konnte wohl nicht gefunden werden.

Fließen in MAKE A WISH noch kleine fantastische Element ein, driftet die Handlung in ALRAUNE bald völlig ins Unerklärliche ab: Eden (Milton Welsh) hat eine aufregende, sexuell aufgeladene Nacht mit einer unbekannten Schönheit. Als er sie wiedertreffen möchte, gelangt er in den Bann einer mysteriösen Gesellschaft und muss bald feststellen, dass seine Begehrte Unbekannte von eine albtraumhaften Wesen besessen ist. Aus der Femme Fatal wird in ALRAUNE ganz offen ein Monster.

Es sind moderne Horrorgeschichten, die weiter gehen, als die Urbanen Legenden, die noch die 1990er Jahre das Horror-Publikum begeistern: GERMAN ANGST schockiert wirklich. Eine kontroverse Diskussion über seine Publikation war nötig. Die Entscheidung, dass der Film veröffentlich wird, war jedoch auch die Richtige. Denn der Film ist mehr als nur plumper Gore-Horror und doch wird er in vielen Punkten überschätzt und überinterpretiert.

GERMAN ANGST ist eine Achterbahnfahrt des Brechens und Würgens. So vermag er es zwar Geschichten aufzubauen, Motive des Blutes einigermaßen logisch zu erklären und sogar den Menschen selbst als größtes Monster zu offenbaren. Trotz des Realismus liegen die Geschichten immer wieder im Bereich des Fantastischen: Hier wird keine hingegen keine logische Erklärung für manche Handlungsstränge geliefert. Die Figuren wirken nicht stimmig, die Handlungsverläufe sind oftmals zu wirr, ebenso wie die Motive der Täter wage sind. Obendrein sprießt das Blut Fontänen artig, gern und häufig, und auch die psychologische Grausamkeit wird auf viele Zuschauer abstoßend und erschreckend wirken.

GERMAN ANGST möchte quälen. Nicht nur das Opfer im Film, sondern auch die Zuschauer. Und das schafft er. Aber auf einer anderen Ebene, als er vielleicht wollte. Schockstarr angewidert verharrte der Zuschauer in einer Mischung aus Hass und Ekel vor der Mattscheibe, kann nicht weggucken und hat keine Chance zu verstehen, was da gerade aus welchen Gründen passiert. Die Auflösung ist dabei immer gleich: Es ist ein Erwachen oder niemals wieder auferstehen aus einem Albtraum. Doch selbst mit dem Erwachen bleibt es ein Albtraum.

Der gesellschaftskritische Horrorschocker GERMAN ANGST ist seit dem 15.05.2015 auf Blu-Ray und DVD im Handel erhältlich.

von Jörg Gottschling

Bewertung:


Weitere Infos zum Film: german-angst.com

 

Quelle: Pressematerial Pierrot Le Fou 2015

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